Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Oesterreich-Angarn. 283 
Kuhn sucht zunächst die Einwendungen einzelner Vorredner gegen die Er- 
höhung des Präsenzstandes zu widerlegen, und hält namentlich Herbst gegen- 
über die Ansicht aufrecht: daß es zur Ungerechtigkeit werde, wenn von den 
Soldaten, für welche eine dreijährige Präsenzzeit bestehe, die einen eine kürzere, 
die anderen eine längere Zeit hindurch bei der Fahne behalten werden sollen, 
erläutert die Nothwendigkeit einer längeren tüchtigen Schulung der Truppen 
aus der Verschiedenheit der jetzigen von der früheren Gefechtsweise, und sucht 
auch vom volkswirthschaftlichen Standpunkt aus nachzuweisen, daß die Erhöh- 
ung des Präsenzstandes nicht nachtheilig sel, da man die Armee als eine Schule 
für das Volk betrachten müsse, und von den bedeutendsten Nationalökonomen, 
wie z. B. Stein, zugegeben werde, daß man die Ausgaben für die Armee 
als unproduktive nicht betrachten dürfe. Schließlich erklärt der Kriegsminister 
auf ausdrückliche Ermächtigung des Kaisers, und im Namen der Regierung, 
daß das gegenwärtige Budget ein Normalbudget sein solle, und empfiehlt mit 
einem Appell an die Opferwilligkeit und anerkannte Vaterlandsliebe der Mit- 
glicder der Delegation die Anträge der Regierung auf das eindringlichste. 
Graf Andrassy: Ich würde gern in dieser, mein Ressort nicht unmittel- 
bar berührenden Frage die Geduld der Versammlung gar nicht in Anspruch 
nehmen, wenn nicht meiner kundgegebenen Ueberzeugung in dieser Frage 
Gründe unterstellt worden wären, die ich nicht acceptiren kann. Zur klaren 
Beurtheilung der Sache muß ich mir drei Fragen stellen: 1) Wird durch die 
richtige Ausnützung der dreijährigen Dienstzeit der militärische Werth und 
die Kriegstüchtigkeit derart erhöht, daß sie andern ebenbürtig wird 2) Sind 
die europäischen Verhältnisse derart, daß wir diese als nothwendig erkannie 
Maßregel umgehen können? 3) Sind die Staatsfinanzen in der Lage, die 
hiezu nöthigen Opfer zu bringen? Die erste Frage findet ihre bejahende Be- 
antwortung in der vom Kriegsminister gegebenen klaren, deutlichen und ge- 
treuen Darstellung. In Betreff der zweiten Frage müsse er vor allem den 
principiellen Satz aufstellen, daß der Ausspruch des Ministers des Aeußern 
niemals die Grundlage für die Organisation der Armee bilden könne. Graf 
Andrassy verwahrt sich gegen die allgemeine Voraussegung, als wohne dem 
Minister des Aeußern gleichsam als einer Gattung von Laubfrosch der Instinkt 
inne, jede Wetterveränderung wahrzunehmen. Derartige ministerielle Wetter- 
propheten haben sich sehr häufig als falsche erwiesen, und der Minister des 
Aeußern müsse in seinen bezüglichen Aussprlichen am meislen vorsichtig sein, 
weil er die schwarzen Wolken, die er anzeigt, zugleich anzieht (Sehr gut!), 
weil er dadurch, daß er den Staat von der Gefahr avertirt, ihm selbst die 
Möglichkeit derselben auch auf den Hals bindet. Er wolle jedoch von dem, 
was er im Ausschuß in Betreff der Lage nach außen gesagt, nicht ein Wort 
zurücknehmen. Er wiederhole erneuert: daß er das Ziel und das Resultat 
der Berliner Zusammenkunft als solches betrachten muß, welches den euro- 
päischen Frieden zu stärken gceignet ist. Er wiederhole erneuert, daß die Ver- 
hältnisse Oesterreich-Ungarns zu allen maßgebenden Staaten sehr gute genannt 
werden können, und er die feste Ueberzeugung habe, daß sie auch gute bleiben 
werden, solange die Politik treu befolgt wird, welche er nicht einfach als die 
seinige bezeichnen will, die vielmehr aus den gesund aufgefaßten Interessen der 
Monarchie mit bedeutender Kraft resultire, nemlich die Politik des Friedens. 
(Beifall.) Daraus aber könne niemand die Consequenz ziehen, daß er den 
europdischen Frieden auf Jahre hinaus garantiren könne. Dieß könne nie- 
mand. Er müsse vielmehr in Uebereinstimmung mit dem Abg. Greuter den- 
jenigen Löschmann als einen schlechten bezeichnen, der daraus, daß er und 
auch andere principiell gegen eine Feuersbrunst sind, das Argument gegen die 
rechtzeitige Beischaffung der Löschrequisiten herleiten wollte. Vertrauen verdiene 
derjenige, der sagt: ich werde trachten, daß kein Feuer entstehe; entsteht es 
aber, dann werde ich möglichst rasch löschen; gebt mir jedoch früher die nö- 
thigen Apparate und Kräfte dazu. Graf Andrassy weist darauf hin, daß die 
 
	        
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