Frankreich. 887
Herzog von Aumale: Wir haben uns hier weder mit Disciplin, noch mit
Unterrichtsfragen, sondern mit dem Rekrutirungssystem zu beschäftigen. Die
alte Gesetzgebung ist in diesem Betracht anerkanntermaßen unzulänglich. Das
Gesetz von 1832 war für seine Zeit ein ganz gutes Gesetz, und gewiß ist, daß
alle seitherigen Versuche, die Gebrechen des Gesetzes von 1832 abzustellen, ge-
scheitert find. Zu diesen Gebrechen gehört in erster Reihe das System der
Ersatzmänner. Man hat die üblen Folgen dieses Systems noch übertrieben,
aber recht verderblich haben sich dieselben erst seit dem Gesetze von 1855 gel-
tend gemacht: die Stellvertretung war dann nicht mehr eine Vergünstigung,
sondern ein Recht, eine allgemeine Gewohnheit, so zwar, daß man sie durch
Einschränkungen nicht mehr bemeistern konnte. Heutzutage muß die Stell-
vertretung im Interesse der Armee und des Landes ganz und gar ausge-
schlossen werden. (Sehr gut!) Die allgemeine Dienstpflicht ist eine Nothwen-
digkeit, und die Nation wird sich gern mit ihr befreunden, wofern man der
Stellvertretung nur keine Hinterthür öffnet: die kleinste solche Hinterthür würde
durch die Praxis sogleich angelweit aufgerissen werden. Redner geht dann auf
die Unmöglichkeit ein, in ganz kurzer Zeit kriegstüchtige Armeen heranzubil-
den, und bemerkt weiter: Eine Bestimmung scheint mir nicht sehr billig; ich
meine diejenige, wonach die jungen Leute, welche nicht lesen und schreiben
können, von der Rechtswohlthat des anticipirten Dienstes ausgeschlossen bleiben
sollen. Einmal scheint mir das nicht logisch, da derselbe junge Mann, den
man mit 18 Jahren zurückweist, mit 20 Jahren dann mit Gewalt genommen
wird, und zweitens soll es nie für eine Strafe gelten, unter der theuren und
ruhmvollen Fahne zu dienen, um welche sich im Kriege alle Vertheidiger des
Vaterlands ohne Unterschied der Partei geschaart haben, und die sie wiederum
vereinigte, als im Bürgerkriege die Aufrührer eine ihrer Farben ausgerissen
hatten, daß sie ihnen zum Banner diene, unter der Fahne, welche lange Zeit
ein Emblem des Sieges war und jetzt das Emblem der Eintracht und Einig-
keit sein soll. (Beifall.) Ich schließe: wenn die Kammer das vorliegende Gesetz
in seinen Hauptbestimmungen annimmt, so vollzieht sie damit einen Akt der
Mannhaftigkeit, des strengen und echten Patriotismus, des conservativ-libe=
ralen Geistes, von welchem dieses Haus beseelt ist. Zeit, viel Zeit wird ver-
gehen, ehe dieses Gesetz seine Früchte tragen kann; langsam, geduldig und
mühselig werden wir an unserer Reorganisation arbeiten müssen: darum wird
sich auch Europa über unsere friedlichen Absichten und Gesinnungen nicht täu-
schen können. (Lebhafter Beifall im rechten Centrum.) — Oberst Denfert-
Rochereau (zum Protokoll): Ich ersehe erst aus dem stenographischen Be-
richt, daß General Changarnier sich gestern der wegwerfenden Worte bedient
hat: „Obgleich ich nicht während der Belagerung von Belfort eine Casematte
dieser Festung bewohnt habe“ u. s. w. Diese Insinuation kann mir nicht weh
thun; ich habe der Replik meines Freundes Laurent Pichat nichts hinzuzufügen.
Wir heißen Belfort, sagte dieser, und Sie, Sie heißen Metz! (Lärm.) General
Changarnier, in äußerster Wuth und die Fäuste gegen den Oberst Denfert
ballend: Ich heiße in aller Bescheidenheit Changarnier. (Bravo! rechts.) Ich
war bei der Armee von Metz ohne Commando und ohne Sold; ich litt mit
ihr, aber ich bin in keinem Grade für ihre Akte verantwortlich. Was ich
gestern, entrüstet über die destruktiven Theorien des Obersten Denfert, sagte,
muß ich lediglich aufrechthalten. Ich habe den Preußen näher ins Auge ge-
blickt als irgend einer, und namentlich als der Abgeordnete, dessen Unterbrechung
sich Or. Denfert heute aneignet. (Beifall rechts. Tumult. Die Linke ruft:
Metzl Metz! General Changarnier wird, wie er die Tribune verläßt, von
seinen Freunden unter stürmischem Applaus umringt; Hr. Duvergier de
Hauranne, der jüngere, ein erst vor kurzer Zeit von den Orleanisten zu den
Republikanern übergegangener Abgeordneter, packt in affektirter Weise seine
sieben Sachen zusammen, verläßt seinen Platz auf der Linken und begibt sich
an die Seite des Generals Changarnier; dieser schließt ihn gerührt in seine
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