Trankreich. 393
rüstet, daß wir nicht die „bewaffnete Nation“, wie schon damals das Schlag-
wort hieß, sondern die entwaffnete Nation wären. Und wenige Tage darauf
empfängt mich am 16. Juli im Gesetzgebenden Körper der allgemeine Ruf
nach Krieg. Ich fand keinen Ausdruck für die Sprache, welche die Regierung
in der Frage der Candidatur Hohenzollern gegen Preußen führte. Trotz dieses
herausfordernden Tones zog Preußen, sein Unrecht einsehend, die Candidatur
zurlck und Alles, meinte ich, wäre nun beigelegt. Anstatt dessen meldet man
uns vierundzwanzig Stunden. später, daß der Krieg entschieden sei. Ich war
niedergeschmettert; flehentlich bat ich die Minister, im Intcresse des Landes, der
Dynastie selbst auf ein Unternehmen zu verzichten, welches Frankreich ins Ver-
derben stürzen könnte. Dieses war also der erste große Fehler. Die Geschichte
kennt nicht seines Gleichen: Louvois, der große Kriegsminister Ludwigs XIV.,
selber ließ es sich niemals beikommen, binnen acht Tagen einen Krieg einzu-
leiten und auch schon zu eröffnen. Die Preußen, welche ihrerseits vollkommen
bereit waren, da sie sich seit Jahren auf einen Angriff Frankreichs gefaßt
machten, brauchten einige und zwanzig Tage, um mit voller Macht ins Feld
rücken zu können, und wir, die wir gar nicht gerüstet waren, ertrotzten noch
die sofortige Eröffnung der Feindfeligkeiten. (Sensation.) Es ist wahr, man
entwickelte dann den größten Eifer und es war erstaunlich genug, daß man
in Kürze 250,000 Mann auf die Beine brachte; man hatte 4000 (nicht 9000)
für den heutigen Krieg verwendbare Geschütze, aber die Bedienung konnte man
mit aller Anstrengung nur für ihrer 930 auftreiben. Die Schuld lag nicht
an dem Gesetz von 1832, sondern lediglich an der Ueberstürzung; in einem
Monate, welcher leicht durch Unterhandlungen zu gewinnen war, konnte man
eine Million kriegstüchtiger Soldaten und noch mehr ins Feld stellen. In dieser
Verfassung stießen wir auf die deutsche Armee. Diese belief sich niemals, wie
man behauptet hat, auf 2,000.,000, sondern mit ihrer höchsten Ziffer, so weit
sie in Frankreich stand, auf 900,000 Mann. In den ersten Tagen stand sie
uns in der Stärke von 400,000 Mann gegenüber und hier folgten nun die
drei anderen strategischen Fehler. Unsere 250,000 Mann, von Thionville bis an
den Nhein auf einer Schlachtlinie von 50 Lieues aufgestellt, erwartelen regungs-
los den Feind und unser rechter Flügel wurde, nachdem er bei Reichshofen
ein Treffen geliefert, wie die Geschichte kein ruhmvolleres aufzuweisen hat,
(Sehr gutl) buchstäblich weggeblasen. Nun galt es einen raschen Entschluß,
was sich freilich nachher immer leichter sagen läßt, als mitten in der Aktion:
man mußte sich hinter die Maas zurückziehen und Metz und Lothringen auf-
geben. Der Kaiser konnte das nicht über sich gewinnen und zog sich nur selbst
zurück, die größte Verwirrung hinter sich lassend. Das war der zweite Fehler
und der dritte bestand in dem unseligen Versuch, die eherne Mauer, welche
sich um die Armee von Meg geschlossen hatte, mit einem jungen, eben erst
aus den Trümmern der Besiegten von Wörth und noch schwächeren Elementen
gebildeten Heere zu durchbrechen. Der General Trochu kann mir bezeugen,
wie ich im Vertheidigungsausschusse eindringlichst vor diesem Zuge gegen Metz
warnte. Statt einer eingeschlossenen Armee, sagte ich, werdet Ihr deren zwei
haben! Alle unsere Cadres waren bei Metz und Sedan zu Grunde gegangen
und ohne Cadres kann man mit allem Opfergeiste und Patriotismus keine
Armce organisiren. Wir hatten keine Cadres mehr, das war der Grund aller
unserer Niederlagen. An der Loire sah ich Compagnien von 100 Mann, die
nur einen Lieutenant und einen oder zwei Unteroffiziere hatten. Unser ganzes
Effektiv war gleich bei Beginn des Feldzugs verloren gegangen. Nicht also
das preußische System hat das französische besiegt: ich werde Ihnen den wah-
ren Sieger nennen. In Berlin waltete eine große Regierung, bestehend aus
einem großen Staatsmanne, einem jener Feldherren, die man wirklich „Or-
ganisatoren des Sieges" nennen darf, und einem gewandten Kriegsminister;
an ihrer Spitze stand ein weiser und fester Monarch, der ohne Scheelsucht
das Verdienst seiner Räthe anerkannte und sich geltend machen ließ, der ihnen