Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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Das deutsche Reich und seine einzelnen Slieder. 
9. Jan. (Sachsen.) II. Kammer: Die Regierung legt derselben fünf 
10. 
11. 
mit einander im engsten Zusammenhange stehende Gesetzesentwürfe be- 
hufs der in der Thronrede vom 2. Dec. v. J. in Aussicht gestellten 
Reform der innern Verwaltung vor: eine Städteordnung für große, 
eine solche für mittlere und kleinere Städte (6000 Einwohner), eine 
Landgemeindeordnung, eine neue Organisation der Verwaltungsbehör- 
den und ein Gesetz, welches die Bevölkerung zu direkter Theilnahme 
an der Verwaltung herbeizieht. 
Im Fernern legt die Regierung dem Landtage ein umfassendes 
Volksschulgesetz vor: ' 
Neu ist darin die Einführung einer obligatorischen Fortbildungsschule mit 
wöchentlich mindestens 2, höchstens 6 Stunden für die Knaben, drei Jahre 
lang. — Die Unterhaltungspflicht der Schule liegt den Gemeinden ob. Das 
Schulgeld ist zwar nicht gestrichen, aber es ist vom Ortsschulvorstande „nach 
den Vermögensverhältnissen der Beitragspflichtigen zu bestimmen", demnach 
soll ein aliquoter Theil der einfachsten Einkommensteuer die Stelle des eigent- 
lichen Schulgeldes vertreten und das von den Eltern zu bezahlende Schulgeld 
durch Beiträge der gesammten Schulgemeinde ergänzt werden. — Der Schwer- 
punkt des Gesetzes liegt jedoch in der Beaussichtigung der Volksschulen. Diese 
ist zunächst Sache des Ortsschulvorstandes, der nach dem Entwurf aus einigen 
Mitgliedern der bürgerlichen Gemeindevertretung, aus dem oder aus einigen 
Lehrern und aus dem oder den Geistlichen der Parochie bestehen soll, doch so, 
daß die Anzahl der letzteren die der Lehrer niemals Übersteigen soll. Die 
Aussicht selbst wird geübt von einem Schulrektor, deren es bei allen sechs- 
klassigen Schulen geben soll: wo kein Direktor vorhanden ist, also so ziemlich 
in allen rein bäuerlichen Gemeinden, übt der Pfarrer die Aussicht, ist olso 
geborner Ortsschulinspektor. Die wichtigste Verbesserung liegt darin, daß eigens 
besoldete Bezirksschulinspektoren die nächst höhere Instanz bilden und die aus 
der Reihe „bewährter Fachmänner" genommen werden, also kein bloßes An- 
hängsel mehr an die geistliche Superintendentur sind. Dieser Inspektor hat 
periodische Visitationen sämmtlicher Schulen seines Bezirkes vorzunehmen, prüft 
und genehmigt die von den Lehrern eingereichten Stundenplane, trägt Sorge 
für einstweilige Verwaltung der vakanten Schulstellen und fördert das wis- 
senschaftliche Streben der Lehrerwelt auf Conferenzen. Alle diese Schul- 
inspektoren treten jährlich einmal zusammen, um über Menderungen zu be- 
rathen und Erfahrungen auszutauschen. Jene Aufsicht wird indeß nicht vom 
Bezirksschulinspektor allein geübt, sondern im Verein mit dem Amtshauptmann 
und dem Stadtrathe, da wo die Schulinspektion durch frühere Gesetze dem 
letzteren zugewiesen ist. Die oberste Behörde bildet das Ministerium des öf- 
fentlichen Unterrichts. Die confessionelle Eigenschaft der Volksschule ist in der 
Vorlage festgehalten. 
„ (Preußen.) Abg.-Haus: Delegirte aller liberalen Parteien treten 
unter dem Vorsitze des altliberalen Abg. Bonin zusammen, um sich 
über einen gemeinsamen Operationsplan gegen den Cultusminister 
v. Mühler und alle von demselben ausgegangenen Vorlagen zu ver- 
ständigen. 
„ (Preußen.) Das Abg.-Haus überweist den ihm von der Re- 
gierung neuerdings vorgelegten Entwurf einer Kreisordnung für die 
sechs östlichen Provinzen einer speziellen Commission von 21 Mit- 
gliedern.
	        
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