Zrankreich. 401
25. Juni. Nat.-Versammlung: Debatte über die verschiedenen Steuerprojecte
behufs Beseitigung des Deficits. Dieselbe zeigt, wie wenig feste An-
schauungen über das Steuerwesen und die Besteuerungspolitik noch in
Frankreich herrschen und wie die Anschauungen darüber noch wirr
durcheinanderlaufen.
Casimir Perier vertritt, jedoch mit auffallender Kühle, sein Projekt
nicht einer Einkommensteuer, sondern einer Besteuerung gewisser Einkünfte
(Mobiliarwerthe, Hypothekenforderungen, Handelsumsätze). Thiers: Wenn
die Regierung an der Ansicht festhält, daß die Einkommensteuer verwerflich
ist, so hat sie gegen die Besteuerung gewisser Kategorien von Einkünften im
Prinzip nichts einzuwenden, da ihr eigenes Budget ja solche ebenfalls ins
Auge faßt. Ueber die Wahl mag, wie mein alter, unwandelbarer Freund
Casimir Perier sagt, dem ich bei dieser Gelegenheit für sein maßvolles Ver-
halten danke, die Versammlung in aller Freiheit entscheiden. Lambert de
Saint-Croix (Orleanist) beklagt den Widerstand der Regierung gegen öko-
nomische Vorschläge, die gleichwohl den offenbaren Beifall der Majorität fän-
den; ohne eine aufrichtig conservative Politik werde man übrigens auch auf
finanziellem Gebiete nichts ausrichten. Er erklärt sich als einen Anhänger
der Steuer auf die Handelsum= oder vielmehr auf die Handelsabsätze.
Guichard legt besonders Gewicht auf die Besteuerung der beweglichen Werthe
und Deseilligny hält eine solche in Höhe von 2 Proz. ebenfalls für räth-
lich. Thiers: Verständigen wir uns erst über den Begriff: bewegliche
Werthe. Wenn man damit Renten, Obligationen und Aktien mit Ausnahme
unserer eigenen Staatspapiere meint, so könnten wir vielleicht handelseins wer-
den; aber es gibt ein Prinzip, an welches ich für meinen Theil niemals
rütteln möchte: das Capital als solches darf niemals, sei es nun direkt oder
indirekt, besteuert werden; in dem gegenwärtigen Augenblicke vollends wäre
es ein Wahnsinn, die Rente zu besteuern. Wir haben selbst eine Steuer auf
die beweglichen Werthe in dem oben beschränkten Sinne in Vorschlag gebracht;
aber ich gestehe es offen, die Sache ist eine sehr heikle und wäre ohne eine
schwere Erschütterung des Geldmarktes nicht durchzuführen. Andrerseits sagt
das Billigkeitsgefühl, daß, wenn Grund und Boden so harte Lasten zu tragen
haben, das bewegliche Vermögen doch nicht ganz frei ausgehen kann. Genug,
die Frage hat mehrere Seiten; entscheiden Sie selbst! Pouyer Quertier,
der zum ersten Male seit seinem Rücktritt vom Finanzministerium das Wort
ergreift, erklärt sich für eine 3prozentige Besteuerung des beweglichen Ver-
mögens und bekämpft dagegen die Salzsteuer und die 15 Zuschlagscentimen
auf die vier direkten Steuern. Die Debatte nimmt einen immer eklektischeren
Verlauf, die verschiedensten Steuercombinationen werden ohne Rücksicht auf die
Tagesordnung vorgebracht und schließlich sammt der Hauptfrage an die Com-
mission zurückverwiesen.
26. Juni. Nat.-Versammlung: Fortsetzung der Debatte über die neuen
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Steuervorlagen. Thiers wiederholt anläßlich des Amendements Buffets,
welches nur eine temporäre Einkommensteuer vorschlägt, um die Staats-
schuld allmälig zu tilgen, daß die Regierung formell gegen eine Ein-
kommensteuer sei. Sie verwerfe dieselbe im Namen der Würde der
Kammer, welche sie schon zurückgewiesen habe, im Namen der conser-
vativen Politik, wozu er sich bekenne und immer bekennen werde, end-
lich im Namen der Ruhe des Landes.
„ Nat.-Versammlung: Die monatlichen Präsidentenwahlen der Bureaux
ergeben das Resultat, daß von 15 Präsidenten nicht weniger als 12
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