Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Das drulsche Reich und seine einzelnen Slieder. 39 
kämpften und blutcten im Kriege mit den Christen, und sollten dann von der 
Ehe mit den Christen ausgeschlossen sein. Das müßten sie als ein an ihnen 
geilbtes Unrecht empfinden. Die Minderheit wendet dagegen ein, daß die sitt- 
liche Würde der Ehe zwischen in dem Religionsbekenntniß so sehr verschiedenen 
Ehegatten nothwendig verloren gehen müsse und gar nicht möglich sei, daß 
eben dadurch die Kindererziehung nothleiden müsse, solche Ehen also verderblich 
für den Staat seien. Die Gegner bestreiten dies und legen auch darauf Ge- 
wicht, daß dadurch, daß man, um diese Ehe zu ermöglichen, den einen Theil 
zum Religionswechsel zwinge, die Heuchelei befördert werde, was auch nicht 
zum Heil des Staats gereiche. Bei der Abstimmung wird der Minderheits- 
antrag mit 21 gegen 9 Stimmen angenommen, der Beitritt zum Beschlusse 
des andern Hauses also abgelehnt. 
— Jan. (Preußen.) An der Berliner Börse ist der Gründungsschwindel 
17. 
19. 
22. 
in voller Blüthe. 
„ (LPreußen.) Der König vollzieht die Entlassung des Cultusmi- 
nisters v. Mühler. 
. (Bayern.) Der oberste Gerichtshof verwirft die Nichtigkeits- 
beschwerde des Bischofs von Regensburg als unbegründet, bestätigt ein 
wegen Ehrenkränkung verurtheilendes Erkenntniß des Bezirksgerichts 
und verurtheilt den Bischof auch in die Kosten. 
Das Erkenntniß ist im Wesentlichen, wie folgt, motivirt: Durch das Ur- 
theil des Bezirksgerichts sind sowohl die incriminirten Aeußerungen als die 
Intention des Beklagten: durch dieselben den Kläger der allgemeinen Miß- 
achtung preiszugeben und ihn in seiner Ehre zu kränken, festgestellt. Den 
Bischöfen steht zwar unzweifelhaft ein Recht der kirchlichen Censur Über die 
Gläubigen zu, jedoch ist ausgeschlossen, daß sie hiebei sich einer Privatehren= 
kränkung schuldig machen; vielmehr ist, wenn sie dabei Aeußerungen vor- 
bringen, welche geeignet sind, den Betheiligten in der Achtung seiner Mitbürger 
herabzusetzen, oder wenn diese Aeußerungen der Absicht entsprungen sind, dessen 
Ehre anzugreifen, das Gebiet der kirchlichen Censur verlassen und das des 
Strafrechts betreten. 
„ (Preußen.) Der König ernennt den geh. Ober-Justizrath Falk 
zum Minister der geistlichen, Unterrichts= und Medicinalangelegenheiten. 
23—27. Jan. (Bayern.) II. Kammer: Debatte über die Beschwerde des 
Bischofs von Augsburg und verschiedener Einwohner von Mering und 
den Filialorten, die Verletzung verfassungsmäßiger Rechte (durch den 
dem altkath. Pfarrer Renftle gegen die Maßregelungen des Bischofs 
von der Regierung gewährten Schutz) betr. Die ultramontane Mehrheit 
der Commission beantragt, die Beschwerde für begründet zu erachten, 
die liberale Minderheit dagegen, sie abzuweisen. Reden des Cultusmin. 
v. Lutz und des Ministerpräs. Graf Hegnenberg. Bei der Abstimmung 
fehlen von den 154 Abgeordneten 2 Patrioten wegen Krankheit und 
fallen 3 von der Partei ab, während der zur Fortschrittspartei ge- 
hörige Abg. Bert. Müller von Frankenthal, welcher jüngst das Bein 
gebrochen, sich in den Sitzungssaal hatte tragen lassen. Bei der Ab- 
stimmung stehen dadurch 76 gegen 76 Stimmen: die Beschwerde ist 
also abgewiesen. Die ultramontane Majorität der Kammer erleidet 
damit die dritte große und diesmal definitive Niederlage seit dem
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.