Frankreich. 429
der wahren socialen Gerechtigkeit gestellt, und ihre Grundsätze verbreiteten sich
über die Welt, weil sie nichts anderes waren, als die erste Verkündung und
Anwendung dieser socialen Gerechtigkeit auf Erden. Und weil die dreifarbige
Fahne diese Bedeutung hatte, konnte man von ihr sagen, daß sie die Reise
um die Welt machen würde. Lange zog sie im Gesfolge eines Eroberers beie
den europäischen Nationen umher; aber wenn ihr materielles Werk zu Grunde
gieng, so besteht ihr moralisches Werk fort und macht den solidesten Ruhm
Frankreichs aus, einen viel größeren, als Siege, welche nach den Zufällen der
Gewalt von einer Fahne zur anderen Übergehen. Was mich betrifft, so kann
ich die Republik nicht anders verstehen und zulassen, denn als die Regie-
rung der Nation, welche, nachdem sie die Lenkung ihrer Geschicke lange und
in gutem Glauben einer erblichen Gewalt anvertraute und damit, in Folge
von Fehlern, Über die man heute nicht richten kann, kein Glück gehabt hat,
endlich den Entschluß faßt, sich selbst und allein, durch ihre frei und vorsichtig,
ohne Rücksicht der Partei, der Classe, der Herkunft, weder oben noch unten,
weder rechts noch links, sondern lediglich in dem Lichte der öffentlichen Achtung,
welches die Charaktere mit ihren Eigenschaften und Fehlern erkennen läßt,
gewählten Vertreter zu regieren, eine Wahl, die mit Freiheit nur im Schoße
der Ordnung, Ruhe und Sicherheit vor sich gehen kann. Zwei Jahre, die
unter ihrem Einfluß und unter ihrer Controle in beinahe vollkommener Ruhe
verflossen find, können uns die Hoffnung geben, diese conservative Republik
zu gründen, aber auch nur die Hoffnung, und, man vergesse es nicht, der ge-
ringste Fehler würde diese Hoffnung in einer trostlosen Wirk-
lichkeit zu nichte werden lassen. Gestatten Sie mir eine letzte Betrach-
tung. Nicht Frankreich allein muß die Republik Vertrauen einflößen, sondern
der ganzen Welt. Auch besiegt, fesselt Frankreich noch die Blicke der Nationen
auf sich, und diese ängstigen und beunruhigen sich, je nachdem was in Frank-
reich vorgeht; diese besorgte Aufmerksamkeit ist auch nur wieder eine Huldi-
gung für den Einfluß Frankreichs auf die Völker. Wir hören manch-
mal sagen: Frankreich ist isolirt! Meistens ist das bei den Parteien, welche
es behaupten, nur eine Täuschung ihres Hochmuths. Zu anderen Zeiten hatten
die fremden Regierungen eine Neigung, sich in die innern Angelegenheiten der
Nachbarländer zu mischen; aber empfindliche Erfahrungen haben sie aufgeklärt,
und sie denken jetzt an solche Einmischung nicht mehr. Wohl aber bleibt ihnen
noch immer freie Verfügung Über ihre Achtung, und Niemand kann der Ach-
tung seines gleichen entrathen. Der Mensch braucht die Achtung seines Mit-
menschen, und die Nationen brauchen die Achtung der Nationen. Es kommt
ein Tag, da man einen Beistand, wenigstens einen moralischen Beistand, braucht,
und dann findet man ihn nur, wenn man ihn verdient hat. Die fremden
Negierungen find heutzutage aufgeklärt genug, um in Frankreich nichts als
Frankreich zu erblicken. Herrscht in Frankreich Ordnung, so sagt es allen zu;
ist es Überdieß auch stark, so sagt es jenen zu, welche ein gerechtes Gleichgewicht
zwischen den Mächten der Erde hergestellt zu sehen wünschen. Nun, ich wage
zu behaupten, daß die Anstrengungen, welche Frankreich seit beinahe zwei Jahren
macht, ihm eine Achtung eingetragen haben, von der es schon zahlreiche Be-
weise empfangen hat. Und diese Beweise gelten nicht der einen oder der andern
Partei, diesem oder jenem Manne, sondern nur Frankreich selber und seinen
Bemühungen, Fehler wieder gut zu machen, die es nicht begangen hat, und
nun büßen muß, nur weil es sie begehen ließ. Wohlan, ich erkläre es, da
ich denn meiner Pflicht gemäß die Blicke unverwandt auf Europa gerichtet
halte: Frankreich ist nicht isolirt, und es hängt im Gegentheil nur von ihm
ab, ob es von vertrauensvollen und nützlichen Freunden umgeben sein will.
Es sei friedlich unter der Republik, und es wird sich Niemand entfremden;
es sei dagegen unter einer schwankenden Monarchie aufgeregt, und es
wird unter dieser Regierungsform so gut wie unter irgend einer andern ver-
einsamt sein. Wir nähern uns, m. H., einem entscheidenden Augenblick.