Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

432 Trankreich. 
lehnt hierauf für die Interpellation Changarnier die einfache Tagesordnung 
mit 495 gegen 132 Stimmen, den Antrag Benoits auf motivirte Tagesord- 
nung mit 372 gegen 327, die Tagesordnung Jaures' mit 452 gegen 188 
Stimmen ab, gegen welche alle die Regierung sich erklärt hatie. Der von der 
Regierung befürwortete Antrag Mettetal: daß die Nationalversammlung, auf 
die Energie der Regierung vertrauend und die Gambetta'schen Grenobler Grund- 
sätze zurückweisend, zur Tagesordnung Üübergehe, wird mit 267 gegen 117 
Stimmen angenommen. 
19. Nov. Hr. Thiers spricht in Folge der Abstimmung vom 18. d. M. 
von Abdankung und erklärt einer Deputation der Linken: „Damit ich 
zustimme, die Regierung zu behalten, muß ich zuerst die moralische 
Kraft haben, welche mir die gestrige Sitzung geraubt hat und die ein 
förmliches Vertrauensvotum mir allein zurückgeben kann; ich muß auch 
gewisse Reformen haben, welche den Gang unserer Institutionen er- 
leichtern. Nur unter diesen Bedingungen kann ich an der Gewalt 
bleiben.“ Die Minister des Innern und der Finanzen bieten ihre 
Entlassung an, die von Hrn. Thiers jedoch nicht angenommen wird. 
Nat.-Versammlung: wählt die am 13. d. M. beschlossene Com- 
mission Kerdrel betr. die Botschaft des Präsidenten der Republik. Von 
den Gewählten gehören 9 der Rechten an und können nur 6 als 
Freunde der Politik des Hrn. Thiers betrachtet werden. 
21.—23. Nov. Nat.-Versammlung: Hr. Thiers gibt in der Commission 
Kerdrel wiederholte Erklärungen über seine Auffassung der Lage ab. 
Die Commission wählt darauf den conservativen Hrn. Batbie zu ihrem 
Berichterstatter mit den 9 Stimmen gegen die 6, welche auf den re- 
gierungsfreundlichen Hrn. de Lasteyrie fallen. 
In der ersten Erklärung läßt sich Hr. Thiers des längeren über die Lage 
des Staates aus; indem er darauf dringt, daß der jetzige unentschiedene Zu- 
stand aufhöre, erklärt er: daß die Umstände die republikanische Staatsform 
nothwendig machen. Thiers erklärt sich mit Einführung des parlamentarischen 
Systems einverstanden, wodurch die Verantwortlichkeit des Ministeriums er- 
weitert werde, ohne jedoch ganz darauf zu verzichten, an den Debatten Theil 
zu nehmen. Thiers bittet, gegen jene Concession ihn zu unterstützen und die 
Regierung auf dem Boden der conservativen Republik zu organisiren. In 
der zweiter Erklärung hält er sich streng auf dem Boden der Botschaft und 
der conservativen Republik und erklärt sich bereit, alle mit dem öffentlichen 
Interesse und der eigenen Würde vereinbaren Concessionen zu machen. Er 
betont die Nothwendigkeit der Verlängerung seiner Amtsgewalt, die Errich- 
tung einer zweiten Kammer, die theilweise Erneuerung der Nationalversamm- 
lung, er gibt dagegen die Ministerverantwortlichkeit und die Regelung der 
Beziehungen zwischen der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt zu. 
„Machen Sie also gefälligst einen Bericht, in welchem Sie die Kammer auf- 
fordern, eine neue Commission zu ernennen, welche diesen Reformplan aus- 
zuarbeiten hätte. Vor dieser Commission werde ich erscheinen, ihr meine An- 
sichten darlegen, ohne sie ihr im Geringsten aufdrängen zu wollen, und sie 
wird dann einen mithin lediglich aus der Initiative der Kammer hervor- 
gegangenen Entwurf verfassen.“ Ein Mißvergnügter von der Rechten, Hr. 
Ernoul, entgegnet, daß die Commission, wenn sie diesem Vorschlage entspräche, 
die Botschaft stillschweigend gutheißen würde. Hr. Thiers erwidert, er muthe 
der Commission keine positive Kundgebung zu Gunsten der Republik zu, er 
halte für seinen Theil nur Das, was er in dieser Hinsicht gesegt habe, in
	        
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