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Prankreich.
mission sagte dem Hrn. Präsidenten, daß die conservative Partei mit Recht
wegen der Fortschritte des Radicalismus beunruhigt sei, und daß wir einem
rechtmäßigen Siege desselben entgegengiengen, der heillos und noch viel
schlimmer sein würde, als der vorübergehende Sieg eines Aufstandes. Wir
fügten hinzu, daß es uns, um diesem Vordringen Halt zu gebieten, unerläß-
lich scheine, ihm eine kämpfende Regierung entgegenzustellen, welche alle
conservativen Kräfte vereinigte, um die Bevölkerung über die Pläne des Fein-
des aufzuklären. In unserem Lande ist die Regierung mehr als in jedem
anderen die große Triebseder der Ordnungspartei, und ihre Thatlosigkeit in
diesem Kampfe würde den öffentlichen Geist geradezu irreführen. Wenn der
Radicalismus den Namen einer Partei verdiente, den man ihm mißbräuchlich
gibt, so würden wir von der Negierung verlangen, daß sie die Neutralität
bräche, die sie allen politischen Parteiansichten versprochen hat. Aber weit eni-
fernt, eine Partei zu sein, ist der Radicalismus in unseren Augen der Gegner
aller achtbaren Parteien. Wie sollte diese Faktion, deren verwegene Formel
einen Jeden, der sich ihrem Fortschritte widersetzt, für vogelfrei erklärt, in den
Bereich unserer politischen Unparteilichkeit eindringen? Auf die Besorgnisse
und Wünsche der conservativen Partei eingehend, machte der Hr. Präfident
uns bemerklich, daß es die erste Bedingung einer „kämpfenden Regierung“
wäre, Waffen zu besitzen, deren aber die Regierung, wie sie jetzt bestehe, ent-
behre. In seinen Augen ist eine zweite Kammer unerläßlich, weil alle freien
Länder zwei Versammlungen besäßen, von denen die eine zurückhalte und die
andere vorwärtsschiebe, und weil zwischen die exekutive Gewalt und die Na-
tionalversammlung ein drittes Element treten müsse, welches die Lösung der
Conflikte ermögliche. Nach dieser Combination würde der Präsident berechtigt
sein, im Einvernehmen mit dem Oberhause die andere Kammer aufzulösen.
Diese Schöpfung, schloß der Präsident, würde auch eine natürliche Gelegenheit
bieten, die Beziehungen zwischen der exekutiven Gewalt, den Ministern und
der Assemblée ohne Kränkung für Irgendwen neu zu regeln und so auch die
Ministerverantwortlichkeit zu organisiren. Die Majorität sprach die Meinung
aus, daß sie die Anträge auf Vervollständigung der Gewalten des Präsidenten
anhören und aufmerksam lediglich vom Standpunkte des öffentlichen Interesses
prüfen würde. In einem Punkte scheint uns aber jeder Verzug bedenklich:
wir meinen das innige Zusammengehen der Nationalversammlung und der
vollstreckenden Gewalt. Das Land wartet auf dasselbe mit fieberhafter Angst
und gebietet uns, es ohne Verzug sicher zu stellen. Dieses Zusammengehen
ist so nothwendig, daß wir uns fragen mußten, wie es nur mehrmals getrübt
werden und wie zwei Gewalten von demselben Ursprung und derselben Ge-
sinnung Krisen gleich derjenigen erleben konnten, aus der wir uns jetzt be-
freien möchten. Die Majorität der Commission ist der Ansicht, daß der Uebel-
stand in der persönlichen Einmischung des Chefs der voll-
streckenden Gewalt in unsere Debatten liegt. Der Präsident der
Republik hat, obgleich sein gesetzliches Amt die Rechte eines Delegirten nicht
überschreitet, thatsächlich eine ihm eigenthümliche hervorragende Stellung, und
das Vertrauen, welches er im Lande genießt, gibt ihm ein Ansehen, das Nie-
mand verkennen kann. Im Hinblick auf diese seine außerordentliche persön-
liche Stellung haben wir in seiner Gegenwart nicht vollkommene moralische
Freiheit, indem er jeden Augenblick die von uns interpellirten Minister decken
und eine Ministerfrage in eine Regierungsfrage umwandeln kann. Wenn der
Patriotismus uns verbielet, die Regierung zu erschüttern, so befiehlt er uns
auch, für die Aufrichtigkeit unserer Berathungen Sorge zu tragen. .Gern
hätten wir den Antrag angenommen, die Frage der zweiten Kammer und die
Organisation der Ministerverantwortlichkeit an eine und dieselbe Commission
zu verweisen. Aber ein tiefer Unterschied besteht zwischen diesen beiden Ma-
terien. Sowie wir eine zweite Kammer schaffen, find die Grundbedingungen
der gesetzgebenden Gewalt verändert, und müssen wir wieder vor unsere Com-