Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Frankreich. 437 
Bordeaux war dieß der Boden der Republik; der ganze Süden hätte sich in 
Waffen gegen uns erhoben, wenn es uns beigefallen wäre, eine Monarchie 
wiederherzustellen. Diese Politik gestattete uns, mit einer unter den miß- 
trauischen Augen des Fremdlings mühsam hergestellten Armee von 140,000 
Mann in fünf Wochen den Aufstand von Paris zu bewältigen, wo eine irre- 
geführte Bevölkerung 3000 Kanonen und 400,000 Gewehre zu ihrer Ver- 
fügung hatte. Damals kamen Vertrauensmänner aller großen Städte zu 
mir und sagten: Wir verabscheuen die Commune, aber erklären Sie uns auch 
offen: arbeiten Sie für die Monarchie oder für die Republik! Ich erwiderte: 
Man verleumdet die National-Versammlung; wohl zählt sie leidenschaftliche 
Anhänger der Monarchie in ihrer Mitte, aber keinen Verschwörer; ich gebe 
Ihnen mein Wort, daß ich die Republik aufrecht erhalten werde. Man ent- 
gegnete mir: Wir glauben Ihnen und werden die Städte nicht aufregen. Das 
war unsere Rettung; denn jetzt kann ich es wohl sagen, jetzt, da wir eine herr- 
liche Armee besitzen und eine Armee, welche dem Gesetze und nur dem Gesetze 
gehorcht: hätten wir damals nur 30,000 Mann von der Armee von Paris 
abzweigen müssen, so wären wir der Commune nicht Herr geworden. Ja, ich 
habe damals mein Wort gegeben; Sie mag es nicht binden, aber mich bindet 
es. (Stürmischer Beifall links.) Ich, der alte Verehrer der constitutionellen 
Monarchie, habe versprochen, die Republik aufrecht zu erhalten, und ich werde 
lieber zurücktreten, als mein Wort brechen. Mögen die Parteien mich wie ein 
Werkzeug, das seinen Zweck erfüllt hat, wegwerfen: ich werde mich nicht dar- 
über beklagen. Wenn Sie wüßten, wie schwer mir die 18 täglichen Arbeits- 
stunden sallen, würden Sie mir glauben, daß mir an der Regierung nichts 
gelegen ist. Wenn Sie glauben, eine der drei Monarchien gründen und ihr 
die Anhänger der beiden anderen unterwerfen zu können, so nehmen Sie die 
Regierung: ich wünsche aus ganzer Seele, nicht mehr an Ihrer Spitze zu 
stehen. Ich bin ein Monarchist, welcher die Republik walten läßt, weil ihm 
nichts Anderes möglich scheint, und darum zollt man mir auf dieser Seite 
(auf die äußerste Linke weisend) Beifall. (Stürmischer Beifall links.) Nicht 
als ob ich die Ansichten dieser Partei theilte; in Steuer-, in Heeres-, in po- 
litischen und socialen Fragen, ja selbst in Bezug auf die Organisation der 
Republik gehen unsere Ansichten — und sie weiß es recht gut — weit ausein- 
ander. (Gelächter rechts.) Aber sie zollt mir Beifall, weil ich erklärt habe und 
wiederhole, daß nichis Anderes als die conservative Republik in Frankreich 
möglich ist. (Beifall links.) Damit dürfte jede Zweideutigkeit beseitigt sein. 
Da wir die Republik nicht umgehen können, sagte ich zu Ihnen, so trachten 
wir, sie zu einer conservativen zu gestalten. Einer „kämpfenden Politik“ 
huldige ich nicht. Wenn die öffentliche Ruhe gestört wird, so bin auch ich 
für die entschiedenste Anwendung der Gewalt; aber sobald die äußere Ord- 
nung einmal hergestellt ist, muß die Energie sich mit Mäßigung paaren, um 
eine wahre Beschwichtigung herbeizufllhren. Jene „kämpfende Regierung“" ist 
dieselbe, die schon mehrere Monarchien zu Grunde gerichtet hat; sie hieß da- 
mals eine „Regierung bis aufs Messer“ (gouvernement à outrance). Ließ 
ich es etwa an Unparteilichkeit fehlen? Unsere vornehmsten Edelleute haben 
die großen diplomatischen Posten inne (Eine Stimme: Zum Beispiel Picard!“ 
Allgemeine Heiterkeit, in die auch der Redner einstimmt); jeder General, der 
mir seinen Degen anbot, war mir willkommen, ohne daß ich ihn nach seiner 
Parteimeinung fragte; die hohen Verwaltungsposten besetzte ich nach bestem 
Gewissen mit den ehrenwerthesten und berufensten Männern. Man sagt: Aber 
die Wahlen fallen schlecht aus! Das ist eine heikle Frage. Ich selbst bedaure 
das Ergebniß einzelner Wahlen, und wenn ich dieß ausspreche, gehe ich schon 
bis an die Grenzen des Erlaubten, da es sich um ernannte Mitglieder dieses 
Hauses handelt. Ich habe das allgemeine Stimmrecht nicht geschaffen; ich 
suchte es seiner Zeit einzuschränken, und ich war im Gefängniß, als es in 
seinem ganzen Umfange wiederhergestellt wurde. Man sagt auch manchmal, 
  
 
	        
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