Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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die Postanweisungen angeht, so erreichten sie im Jahr 1861 die Summe von 
22 Mill. Lire, im Jahr 1870 aber 260 Mill. Sehr charakteristisch ist auch 
noch eine andere Thatsache. Im Jahr 1862 bezahlte Italien 32 Mill. an's 
Ausland für Zinsen der Staatsschuld, 115 Mill. im Jahr 1868, aber nur 
93 Mill. im Jahr 1870. Man muß das ungeheure Anwachsen der Staats- 
schuld in Betracht ziehen, und wird es dann jedenfalls ein gutes Zeichen nennen 
müssen, daß Italien einen nicht kleinen Theil seiner im Ausland befindlichen 
Werthe zurückzukaufen vermocht hat. — Allen diesen erfreulichen wirthschaft- 
lichen und finanziellen Thatsachen steht nun gegenüber die ungeheure Zunahme 
des staatlichen Aufwandes. Im Ganzen sind von 1861—1870 verausgabt 
worden 10,490 Mill., wovon 8375 Mill. die ordentlichen Ausgaben vorstellen. 
Davon kommen auf das Jahr 1861 nur 812 Mill.; dagegen sind die Aus- 
gaben von 1871 auf 1498, die von 1872 auf 1243 Mill. veranschlagt. — 
Es lassen sich die Ausgaben in drei Hauptkategorien unterscheiden: die soge- 
nannten intangibeln, d. h. diejenigen, welche im jährlichen Budget nicht redu- 
cirt werden können (wie Amortisation und Verzinsung der Staatsschuld, Do- 
tationen, Pensionen), betrugen im Jahr 1861 nur 200, im Jahr 1870 aber 
634, im ganzen Jahrzehnt 4520 Mill. Die tangibeln Ausgaben zerfallen in 
den Aufwand für die gesammte bürgerliche Staatsverwaltung (1861: 336, 
1870: 300, im ganzen Jahrzehnt 3129 Mill.), und in den Aufwand für mili- 
tärische Zwecke, d. h. Krieg und Marine (1861: 275, 1870: 186, 1861—1870: 
2840 Mill.). — Die folgenden Ausgabeposten sind befonders bemerkenswerth: 
die consolidirte Staatsschuld erforderte zu ihrer Verzinsung im Jahr 1861 nur 
100, im Jahr 1870 aber 276, in den 10 Jahren 2162 Mill. Der Aufwand 
(Zinsen und Rückzahlungen) der nicht consolidirten Schuld ist von 42 auf 
135 Mill. gewachsen; er betrug im ganzen Jahrzehnt 662 Mill. Für Pen- 
sionen wurde im Jahr 1861 die Summe von 29 Mill. aufgewendet; sie ist 
auf 43 Mill. im Jahr 1870 gestiegen; 10jähriger Aufwand 412 Mill. (Die 
Zahl der Pensionirten beträgt heute 97,000!) Die Ziffern, welche die Ver- 
mehrung des Aufwandes für die Staatsschuld ausdrücken, sind besonders er- 
schreckend. Während der Aufwand für militärische Zwecke sich seit 1861 um 
ein Drittel vermindert hat (dieß gilt auch heute noch trotz der von der Re- 
gierung begehrten Vermehrungen im Kriegs= und Marine-Budget), während 
der Aufwand für die bürgerliche Verwaltung, der im Jahr 1861 336 Mill. 
betrug, im Budget von 1872 auf 340 Mill. veranschlagt, also scheinbar der- 
selbe geblieben ist, in Wahrheit aber sich bedeutend vermindert hat, da Italien 
seit 1861 um ein Siebentel größer geworden, ist der sogenannte intangible 
Aufwand und zumal der Haupttheil desselben, der Aufwand für die Staats- 
schuld, verdreifacht. Die Verzinsung der letzteren kostete 1861 nur 113 Mill., 
im Jahr 1870 aber 380 Mill., also 270 Mill. mehr. Das Nominalkapital 
der Staatsschuld ist von 2300 auf 8200 Mill. gestiegen, und zwar, wie der 
Finanzminister in seinem Vortrage betont, in einer Zeit, in welcher der Staat 
zugleich durch Veräußerung von Eisenbahnen, Domänen und Kirchengütern 
um einen großen Theil seines Aktivvermögens ärmer geworden ist. Der Mi- 
nister weist noch besonders darauf hin, daß, um 2691 Mill. effektiven Geldes 
zu erhalten, der Staat eine nominelle Schuld von 3852 Mill. eingehen mußte, 
und daß er für eben diese Schuld in den nämlichen 10 Jahren 1219 Mill. 
an Zinsen, 150 Mill. an Rückzahlungen verwendete. Die Kammer ist darüber 
sichtlich bestürzt und das ist dabei auch offenbar die Absicht des Finanzministers. 
In der That haben die itälienischen Finanzen seit 1861 eine Entwicklung ge- 
nommen, welche trostlos genannt werden müßte, wenn nicht mit der Zunahme 
der Ausgaben eine entsprechende Zunahme der Einkünfte und, was beweis- 
kräftiger ist, das Wachsthum der Produktion zusammengegangen wäre. 
14. Jan. Der oberste Gerichtshof bestätigt in dem bekannten Scandalprozesse 
gegen den Major Lobbia die Schuld desselben, setzt jedoch die Strafe herab.
	        
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