Die Schweiz. 467
Der Kantonsrath hatte das neue Gesetz über das gesammte öffentliche Un-
terrichtswesen drei Wochen lang sehr sorgfältig berathen, manche demokratische
Forderung wurde dabei fallen gelassen und schließlich der Entwurf mit großer
Mehrheit gegen eine Minderheit von bloß etwa 20 Stimmen Lenehmigt.
Neben einigen sehr zweifelhaften Punkten bezeichnete der Entwurf im Ganzen
einen großen Fortschritt. Die Elementarschule sollte wesentlich verbessert und
durch eine für obligatorisch erklärte Fortbildungsschule ergänzt werden, die
Secundar-(Mittel-) Schule eine Ausbildung in Anzahl und Lehrplan der An-
stalten erfahren und allgemein auch den Aermsten zugänglich gemacht, die
Volksschullehrer besser dotirt werden. Man hegte im Kantonsrath die feste
Ueberzeugung, das Schulgesetz würde vom Volke angenommen werden, und
hatte Zweifel nur in Betreff zweier Bestimmungen: einmal, ob das Volk nicht
Anstoß nehmen würde an der Erstreckung der Elementarschulpflichtigkeit vom
zwölften bis auf das vierzehnte Lebensjahr; sodann, ob die Bestimmung An-
klang finden würde, daß alle Elementarlehrer an der Universität, statt wie
bisher im Schullehrerseminar, ausgebildet werden sollten. Ueber diese beiden
Punkte sollte deßhalb Separatabstimmung erfolgen. Sollten sic oder einer
von ihnen vom Volke verworfen, das Gesetz im übrigen angenommen werden,
so würde der Entwurf von dem Kantonsrath in dem betreffenden Punkte ent-
sprechend umgearbeitet und dann publicirt worden sein. Die zahlreiche kanto-
nale Presse befürwortete das Gesetz im Ganzen ohne Unterschied der Parteien.
Am Tage der Volksabstimmung erscheinen über 80 Prozent der Stimmberech-
tigten. Von diesen verwerfen die Verlängerung der Alltagsschulzeit 41,500
gegen 13,670 Annehmende, die Universitätsbildung der Volksschullehrer 43,280
gegen 13, 000, das ganze Unterrichtsgesetz aber (auch ohne jene beiden Punkte)
wird vom Volke mit 39,000 gegen 16,000 Stimmen verworsen.
20. April. Der Bundesrath erläßt eine Proklamation, in der er dem
Schweizervolke die rev. Bundesverfassung für die auf den 12. Mai
angesetzte allgemeine Abstimmung warm empfiehlt.
Eine vergleichende Uebersicht des Revisions = Entwurfs mit der bisherigen
Bundesverfassung von 1848 ergibt folgendes:
An der Eintheilung der Materien in „allgemeine Bestimmungen", „Bun-
desbehörden", „Revision der Verfassung“ und „Uebergangs-Bestimmungen“
wurde im neuen Entwurf nichts geändert. In den ersten Abschnitt „allgemeine
Bestimmungen“, der etwa zwei Drittheile des Ganzen einnimmt, fallen sämmt-
liche wesentliche Abänderungen, mit Ausnahme der Bestimmungen über die
erweiterten Volksrechte und das Bundesgericht. Ganz unverändert blieben die
§§ 1—11, 13—17. Nach diesen bilden „die vereinigten Völkerschaften der
22 souveränen Kantone in ihrer Gesammtheit die schweizerische Eidgenossen-
schaft“ [S 11, und ist der Zweck des Bundes die Behauptung der Unabhän-
gigkeit nach außen, der Schutz der Ordnung, der Freiheit und der Rechte der
Eidgenossen und die Beförderung ihrer gemeinsamen Wohlfahrt [§ 21. „Die
Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränetät nicht durch die Bundesver-
fassung beschränkt isi“ [§ 3|1. „Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich.
Es gibt keine Unterthanenverhältnisse, keine Vorrechte des Ortes, der Geburt,
der Familie oder Personen“ [§# 41. Der Bund gewährleistet den Kantonen
Gebiet, Verfassung, Freiheit und Rechte des Volkes, sowie vie Rechte, welche
dieses seinen Behörden Überiragen hat [N 51. Die Kantone müssen für ihre
Verfassung die Garantie des Bundes nachsuchen, der dieselbe unsofern ertheilt,
als sie nichts gegen die Bundesverfassung enthalten, „die Ausübung der po-
litischen Rechte nach republikonischen — repräsentativen oder demokratischen —
Formen sichern", und als „sie vom Volk angenommen worden sind und re-
vidirt werden können, wenn die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt"
[§ 61. Besondere Verträge politischen Inhalts zwischen den Kantonen sind
untersagt; gestattet dagegen „Verkommnisse“ Über Gegenstände der Gesetzgebung,
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