Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Elieder. 45 
dann zur Annahme gelangen würde, und die Bischöfe konnten im Vertrauen 
auf ihre Vernunft und ihre Stellung, welche sie gegen die Kirche einnahmen, 
wirklich mit Recht so sprechen. Meinetwegen mag im Fuldaer Hirtenbrief 
stehen was will, und mag ich das darin Enthaltene gelesen haben oder nicht, 
es ist doch in unser aller Gedächtniß, daß viele Bischöfe so gesprochen haben, 
wenn sie auch jetzt zu den eifrigsten Vertheidigern der neuen Lehre gehören. 
Das Coneil begann, die Vorlage des Dogma kam, und aller Augen sahen von 
da mit Sorge nach Rom, auch wir, und die Augen der treuesten Katholiken. 
Wie oft, m. OH., find wir Mitglieder der Regierung von solchen Katholiken 
die sich jetzt unterworfen haben, gefragt worden: ob wir denn wirklich glauben, 
daß es zur Abstimmnung kommen und die Lehre von der Unfehlbarkeit des 
Papftes zum Dogma erhoben werde, und die Hoffnung ließ bis zum letzten 
Augenblick das Beste glauben, stolz auf die Stellung vieler deutschen Bischöfe. 
Der 18. Juli 1870 ist gekommen, und das Dogma wurde angenommen. Ich 
rechte mit niemanden über das was seit jener Stunde geschehen ist. Organi- 
sation und Disciplin, der Kirche sind gut. Die Bischöfe haben sich unter- 
worfen, und manche von den früher entschiedensten Widersachern sind jetzt die 
thatkräftigsten Vertheidiger der neuen Lehre geworden; was sie für Verleum- 
dung erklärt, was sie nicht für möglich gehalten hatten, das vertheidigen sie 
jetzt, als wenn es Unsinn wäre zu thun, was sie früher gethan, als wenn 
dieses Dogma von ihnen, von allen, von jeher gelehrt und geglaubt worden 
wäre. (Heiterkeit links.) Und wie die Bischöfe, so auch der Klerus, auch er 
hat sich unterworfen! Viele, m. HH., ich weiß, was ich damit sage, nur 
äußerlich! (Widerspruch rechts.) Ja, noch jetzt gibt es viele deren Stand- 
punkt lediglich das Wort „Unterwerfung" richtig bezeichnet; ja Resignation 
ist es bei den meisten, und die Motive für dieses Verhalten suche ich nicht 
einmal in der eisernen Disciplin der Kirche, o nein, es ist insbesondere die 
Liebe zur Kirche. Sagen Sie nicht, meine Herren, daß das nicht wahr 
ist, wir sagen noch einmal: auch wir leben in der Welt, auch wir ha- 
ben Augen zum Sehen, und auch mit uns sprachen schon ganz vertraut 
manche. Fürchten Sie nicht, daß ich Namen nennen werde, aber wahr 
ist was ich sage, wahr in diesem Saal herinnen! (Anhaltendes Bravo 
links.) Was verlangt man nun vom Staate! Er solle sich in 
gleicher Weise dem unterwerfen und gehorchen das ist das Ziell 
Gewiß, der Staat hindert niemanden an die päpstliche Unfehlbarkeit zu glauben, 
wenn er kann, aber Pflicht des Staates ist seine Interessen zu wahren, den 
verfassungsmäßigen Rechtsschutz zu gewähren und sonst nichts, und dazu hat 
der Staat den ersten Schritt gethan, vielfach gedrängt durch gute Katholiken, 
die sich jetzt unterworfen haben. Die Staatsregierung thut nicht mehr als 
daß sie das verfassungsmäßige Recht der Unterthanen wahrt. Die Regierung 
will nicht die Verfassung ändern um ihren Standpunkt begründen zu können, 
nein! Das ist Entstellung! Die Regierung steht im Einklang mit 
der Praxis aller Regierungen und aller früheren bayerischen 
Fürsten. Wir werden also Schutz den Katholiken gewähren müssen, die 
deßhalb nicht außer der Verfassung sind, weil sie nur glauben, was sie bis 
18. Juli 1870 geglaubt haben. Einem schweren Vorwurf, der öfters wiedergekehrt 
ist, muß ich vor allem entgegentreten; man sagt: wir seien eine Partei, man 
hat die Meinung, daß nach dem Austritt des Fürsten Hohenlohe die Re- 
gierung keine Parteiregierung mehr sein werde, als enttäuschte Meinung hin- 
Lestellt; man sagt, wenn wir ohne Vorurtheil an die Frage herangetreten 
wären, würden wir anders gehandelt haben. Fragen Sie einmal, meine 
Herren von der rechten Seite die Herren hier auf der linken Seite, ob sie 
mit allen unseren wesentlichen Handlungen übereinstimmen? (Rufe links: 
Nein! Nein!) Und man könnte doch nur eine solche Regierung eine Partei- 
regierung heißen; doch nein, fragen Sie sie nicht, es könnte sonst scheinen als 
hätten wir es abgemacht. (Allgemeine Heiterkeit.) Prüfen Sie nur einfach 
 
	        
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