Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
selber, und gehen Sie die Thatsachen durch, welche großentheils in diesem 
Saale sich ereigneten, und urtheilen Sie, ob Sie behaupten können, daß jene 
Herren auf der linken Seite in der Hauptsache mit uns einverstanden waren; 
dadurch wird aber doch eine Regierung keine Parteiregierung, daß sie in irgend 
einem wesentlichen Punkte mit einer Partei Übereinstimmt. Es ist ein schwerer 
Vorwurf, eine Parteiregierung genannt zu werden, nicht deßhalbt m. HH., 
weil ich etwa glaubte, daß eine Parteiregierung Mißachtung verdiene — die 
Regierung, die nach uns kommen wird, wird nichts anderes alß eine Partei- 
regierung sein, und man ist mit uns nur unzufrieden, nicht weil wir eine 
Parteiregierung find, sondern weil wir nicht die Regierung Ihrer (zur Rechten 
gewendet) Partei find. (Sehr gut, links.) M. HH.Es find schon alte 
Märchen, daß wir eine Parteiregierung gewesen seien als Fürst Hohenlohe 
noch unter uns war. Ich kenne dessen Gesinnung in diesem Augenblick nicht, 
das eine aber weiß ich, er hat sich die glänzende und so schnelle Rechtfertigung 
seiner Stellung nicht geträumt, wie er fie jetzt erfährt. (Bravo links.) 
Der Minister geht nunmehr auf die Rechtsfrage- über. „In der Verfassungs- 
bestimmung, auf welche wir uns berufen, ist der Regierung, in so weit sie 
derselben das oberste Schutz= und Ausfsichtsrecht einräumt, unzweifelhaft auch 
eine Einmischung in innere kirchliche Angelegenheiten zugestanden und als 
Folge eines solches Schutz= und Aussichtsrechtes auch in inneren Kirchenange- 
legenheiten ist, so deutlich man es nur wünschen kann, der Ausspruch gethan: 
daß das Placetum regium zu halten ist. Die Staatsregierung hat also ein- 
fach die Verfassung vollzogen. Was von Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit 
gesagt wird, ist ohne allen Grund. Wir beeinträchtigen die Gewissensfreiheit 
nicht; es kann jeder in Bayern glauben, was er will, so weit es uns angeht. 
Noch hat die Regierung Niemanden gehindert, einem Glauben oder einer Con- 
fession beizutreten; sie zwingt aber auch Niemanden dazu. (Sehr gutl links.) 
Es hat ein Abgeordneter gesagt: „„Wie können solche Bestimmungen auf 
Glaubenssätze Anwendung finden, auf Glaubenssätze, an denen nichts zu voll- 
ziehen ist? Das ist ja nur eine einfache Wahrheit, die geglaubt werden 
muß.““ Ja, m. HH., was ist denn das, was sich in Mering seit Monaten 
zuträgt? Was ist es was die Bischöfe von München-Freysing und Augsburg 
von der Regierung verlangen? Nichts anderes als zwangsweiser Vollzug 
solcher Kirchensätze. (Unruhe rechts.) Diese Herren kommen mir vor als 
wenn sie vor lauter Bäumen den Wald nicht sähen. (Bravo links.) Ich 
kann nicht genug betonen, daß die Klagen über Verfassungsverletzung von 
unserer Seite nur wegen dieses Nichtvollziehens Ihrer Wünsche herrühren, 
weil wir uns weigern zwangsweise das Dogma zur Anerken= 
nung zu bringem Alles andere sind Entstellungen und Aus- 
flüchte. (Bravo links und Widerspruch rechts.) Nach der Verfassung soll 
Niemand in seinem Glauben beeinträchtigt werden. Man spricht von dem 
Concordate. In Bezug auf dieses muß ich erklären, daß es nicht Geltung 
hai, weil mit Rom ein Vertrag abgeschlossen wurde, sondern 
nur, weil und insoweit es als Staatsgesetz publizirt worden 
ist. Das erste Concordat hat bei uns keine Wirkung, weil sich aus dem- 
selben ergibt, daß es nicht weitere Geltung hat als es als Staatsgesetz pub- 
lizirt wurde, es wurde aber nicht als Staatsgefetz publizirt. Was dagegen 
als Gründe vorgebracht worden ist, das, m. HH., kann ich am füglichsten 
als das bezeichnen, was mir der Hr. Abg. Jörg gesagt hat, es find Verlegen- 
heitsgründe. Aber eine juristische Deduktion wird sich solcher Nichtswürdigkeit 
nicht bedienen. Ja, m. HH., schließlich heißt es, wenn die Gründe ausgebeutet 
sind: auf das Gesetz kommt es gar nicht an, sondern auf die Ueberzeugung. 
(Allgemeine Heiterkeit.) Sowohl aus der Praxis als aus dem Wortlaute 
der Verfassung geht hervor, daß sich das Placet auch auf innere Angelegen- 
heiten der Kirche beziehe. Dies beweise auch ein Brief den der pöäfpftliche 
Nuntius von NRegensburg nach München im Jahre 1822 gerichtet habe an 
 
	        
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