514
21.
12.
Rußland.
Generalgouverneurs, die Gesetzvorlagen in schwedischer und finnischer Sprache
vorliest und interpretirt. Diese babylonische Sprachverwirrung findet gewisser-
maßen ihre Interpretation in der Stelle der Thronrede, welche auf die Ein-
führung der russischen Sprache als obligatorischen Schulunterricht hinweist.
In Finnland herrscht beinahe noch mehr als in den Ostseeprovinzen ein un-
gebändigter Haß gegen Rußland und die Russen, aber ebenso gegen alles was
deutsch ist. Man weiß nicht, ob die Finnen die Deutschen oder die Russen
mehr hassen. Dagegen besteht daselbst noch heute eine ebenso unsinnige Vor-
liebe für die Franzosen. Rußland legt in der That viel Geduld gegen Finn-
land an den Tag. Während der Hungersnoth schüttete Rußland seine Wohl-
thaten über Finnland aus, und Finnland kostet heute noch mehr als es ein-
bringt. Die Finnländer finden im russischen Staatsdienst, und vor allem in
der Marine, deren Officiercorps meist aus Finnländern besteht, ihr Brod; das
hindert aber nicht, daß jener Geist in ungeschwächter Kraft fortbesteht. In
den Schulen, in denen die russische Sprache als facultativer Unterrichtsgegen-
stand bisher betrieben wurde, stehen die Bänke leer, und es wurde ein Fall be-
kannt, daß ein Lehrer, dessen Gehalt gegen 1000 Rubel beträgt, aufs Land ziehen
und seinen Kohl bauen konnte, weil in der Realschule, bei der er als ruffischer
Lehrer angestellt war, sich nicht ein Schüler fand, der bei ihm Unterricht neh-
men wollte. Daß die russische Regierung jetzt die russische Sprache als obli-
gatorischen Lehrgegenstand bezeichnet, kann nur billig erscheinen, denn wer die
Rechte haben will, muß auch die Lasten tragen. Von einer Russificirung
Finnlands ist keine Rede.
März. (Finnland.) Landtag: Alle vier Stände desselben erklären
sich für Gewährung der Preßfreiheit. Die Regierung geht jedoch nicht
darauf ein.
„ Die Recrutirung für das stehende Heer hat im vorigen Jahre
128,785, in diesem 130,151 Mann geliefert. Der Bauernstand
lieferte dazu 92,1 Procent. Es ist von Intetesse, zu constatiren, daß
in Beziehung auf den Bildungsgrad der eingezogenen Mannschaften
ein gewisser Fortschritt zu bemerken ist, indem 1868 nur 9,27 Pro-
cent, 1869 9,76 und 1870 10,95 Procent des Lesens kundig waren.
April. Aushebung der bisherigen Zollgränze zwischen Rußland und
Finnland.
Mai. Entlassung des der ultranationalen Partei angehörigen Domänen=
ministers Zeleny. Derselbe wird durch einen Gegner der ultranatio-
nalen Partei, Walujeff, ersetzt.
11. Juni. Feier des Jubiläums Peters des Großen. Die eigentliche Masse
15.
des Volks zeigt dabei für die historische Bedeutung des Mannes nur
ein sehr geringes Verständniß.
„ (Finnland.) Schluß der Session des finnischen Landtags. Die
Thronrede bemerkt im Wesentlichen:
„Ich danke Ihnen für die mehrmals kundgegebenen Gefühle der Unter-
thanentreue; an der Aufrichtigkeit derselben habe ich niemals gezweifelt. Nach-
dem ich schon früher meine Ansicht in Betreff der von den Ständen eingebrachten
Petitionen kundgegeben habe, erachte ich es für nothwendig, bei der gegenwär-
tigen Gelegenheit von neuem den Wunsch zu äußern, daß die Stände in Zu-