Rußland. 515
kunft es sich zur Regel machen, ihre Petitionen in den angewiesenen Schranken
zu halten, weil die Erörterung solcher Fragen, welche schon ihrem Wesen nach
von mir nicht acceptirt werden können, nur unnützer Weise Ihre vielfachen
Arbeiten vergrößert und außerdem nicht entsprechende Erwiederungen und Un-
einigkeit hervorruft.“
25. Juni. (Baltische Provinzen.) Schluß des livländischen Landtags.
Es wurden alle auf die Verfassungsfrage bezüglichen Anträge dießmal
einfach abgelehnt, nämlich:
1) die Erweiterung der Landsaßenrechte auf das volle Maß der Rechte der
gegenwärtig vollberechtigten Landtagsmitglieder, mit Ausnahme des passiven
Wahlrechts auf die Stellen des Landmarschalls und der Landräthe und das
Stimmrecht bei rein ritterschaftlichen Angelegenheiten; 5 Verwandlung des
gegenwärtigen Viril-Landtages in einen aus Kreiswahlen, für's erste ohne ver-
änderte passive und aktive Wahlberechtigung, hervorgehenden Delegirten-Land-
tag; 3) Ernennung einer Commission für die Verfassungsfrage. Die „Niga-
ische Ztg.“ bemerkt dazu: „Wenn schon seit mehr als einem Jahrhundert der
livländische Landtag durch den Ausschluß der Vertretung der livländischen
Städte auf demselben materiell nicht als Repräsentant der gesammten Provinz
anerkannt werden konnte, so hat derselbe durch die neuere Gesetzgebung, die
das Anrecht des Bauernstandes auf das Bauernland festsetzt, und vollends durch
den zunehmenden Bauernlandverkauf seine Stellung als Vertretung des ge-
sammten flachen Landes eingebüßt und schrumpft immer mehr zu der Ver-
tretung des Großgrundbesitzes zusammen. Hat diese absolut ablehnende Stel-
lung des jüngst geschlossenen Landtages gegenüber einer Aenderung der Ver-
fassung dargethan, daß es demselben an gutem Willen fehlt, freiwillig seinen
prononcirt adeligen Charakter zu Gunsten einer weiter gehenden Vertretung
der gesammten Previnz zu modifiziren, so wird die Macht der gegebenen Ver-
hältnisse mit steigender Gewalt zu einer Aenderung nöthigen. Besonders wird
die Reorganisation des Steuerwesens jene Nöthigung ausüben. Es wird sich
nur zu bald als höchst mißlich erweisen, von den grundbesitzenden Bauern und
den Pächtern die Grundsteuer zu erheben, ohne denselben Antheil an der Be-
willigung und der Verwendung der Steuer zu gewähren.“
12. Juli. Der Reg.-Anz. veröffentlicht ein vom Kaiser bestätigtes und zur
Ausführung befohlenes Gutachten des Reichsrathes über Ergänzung
und Veränderung einiger bestehender Vorschriften für Preßangelegenheiten.
Es handelt sich um die Einschränkung der Preßfreiheit, welche seit sieben
Jahren in den beiden Hauptstädten Petersburg und Moskau Büchern von
nicht weniger als 10 (Uebersetzungen von 20) Druckbogen gewährt war. In
der Einleitung wird hervorgehoben, „daß in den letzten Jahren neben vielen
nützlichen Preßerzeugnissen auch mehrfältig Schriften ohne Censur erschienen
find, welche die gefährlichsten Irrlehren zum Inhalt haben, welche die heiligen
Religions-Wahrheiten in den Staub zu ziehen, die Begriffe der Sittlichkeit zu
verdrehen und die Grundlagen aller staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung
zu untergraben suchen.“ Es wird deßhalb verfügt: „Wenn die Verbreitung
eines von der Präventivcensur befreiten Buches oder eines periodischen Werkes,
das ohne Censur seltener als einmal in der Woche herauskommt, dem Mi-
nister des Innern als besonders schädlich erscheint, so kann er, indem er vor-
läufig das Herauskommen des Werkes fistirt, darüber berichten und die end-
giltige Entscheidung des Minister-Comités einholen. Die Exemplare werden
unverzüglich bei den Druckern, Herausgebern, Autoren, Uebersetzern, Redacteuren
confiscirt. Wenn aus dem mit Beschlag belegten Buche oder der Nummer
einer periodischen Schrift ein Verbrechen ersichtlich ist, so kann unabhängig von
der Confiscation der Exemplare eine gerichtliche Verfolgung der Schuldigen
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