Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 49
Betrachten wir die tiese Erregung der Gemüther im ganzen Lande. Man kann
bestreiten, daß die vaticanischen Beschlüsse staatsgefährlich sind; daß aber solche
Zustände slaatsgefährlich sind, wird Niemand bestreiten. Wer diesen Conflikt
in Bayern mit lösen soll, muß durchdrungen sein vom Geiste der Geschichte
und von Pietät gegen die Kirche; auf welchem Standpunkt man auch stehe,
wer aus der Geschichte nur tiefen Haß gegen die Kirche gelernt hat, der hat
wenig gelernt! Und diesen Standpunkt erklärt man für den unserigen! Schade
daß man Dinge wie Pictät u. s. w. nicht wägen kann, vielleicht ließe sich
constatiren, daß unsere Firma in diesen Gegenständen keine leichtere Wage
führt als die Ihrige! Wenn Sie die vorliegende Beschwerde für begründet
hallen, so erklären Sie, daß eine gesetzliche Regelung nicht möglich ist; wir
können das nicht hindern! wir sind bereit die Portefeuilles niederzulegen, aber
wir werden sie dem König zurückgeben ohne eines seiner Rechte preiszugeben.
Wollen Sie den Rath eines ehrlichen Mannes befolgen, der 20 Jahre seines
Lebens in diesem Hause zugebracht hat, so hängen sie einen Augenblick den
Fortschritts= oder patriotischen Standpunkt an den Nagel, und lassen Sie die
Vaterlandsliebe walten. Können Sie sich aber dazu nicht entschließen, so
schlagen Sie denn den letzten Nagel in den Sarg des bürgerlichen und con-
fessionellen Friedens — aber auf Sie fällt dann die Verantwortung!"
23. Jan. (Württemberg.) II. Kammer: Die staatsrechtliche Commission be-
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antragt mit 7 gegen 1 Stimme (Oesterlens) die Tagesordnung über den
Antrag Oesterlen betreffend die Reservatrechte, in der Erwägung, daß
die Regierung berechtigt sei, die Abstimmung im Bundesrath, gemäß
der Reichsverfassung Art. 78 Abs. 1 und 2, ohne Zustimmung der
Landesvertretung vorzunehmen, und daß hiedurch die Landesverfassung
nicht verletzt werde.
. (Weimar.) Landtag: verwirft mit 25 gegen 14 Stimmen einen
Antrag auf Einführung des allgemeinen Stimmrechts.
(Preußen.) Adbg.= Haus: Seitens der gesammten preußischen
katholischen Bischöfe ist eine Petition gegen das Schulaussichtsgesetz
an das Abgeordnetenhaus gerichtet und wird vom Präsidenten der
Unterrichtskommission überwiesen. Es ist dies der erste Fall, in welchem
die Bischöse bei dem Abgeordnetenhause petitioniren.
(Baden.) II. Kammer: nimmt die von der Regierung ihr vor-
geschlagene umfassende Erhöhung der Beamtengehalte an.
. (Preußen.) Die Generale Moltke und Roon werden vom König
ins Herrenhaus berufen.
„ (Baden.) Versammlung von Delegirten der Altkatholiken des
Landes in Karlsruhe.
Es nehmen an derselben ungefähr 200 Männer hauptsächlich aus der
Gegend von Freiburg bis Mannheim theil, darunter die Landtagsabgeordneten
Kirsner, Eckhard, Seeger und Intlekofer, die Professoren Friedrich und Wind-
scheid. Zustimmungstelegramme laufen von Konstanz, Villingen, Waldshut
und Freiburg ein. Eckhard führt den Vorsitz, Staatsanwalt v. Berg macht
den Sprecher. Die Versammlung beschließt: durch Landtagsabgeordnete an
die Regierung die Fragen zu richten, ob sie Willens sei, altkatholische Priester
und Laien in ihren bisherigen Rechten zu schützen, altkatholische Gemeinden
werkthätig zu unterstluüten, beim Reichstag auf die Vertreibung der Jeguiten
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