536 Aebersicht der Ereignisse des Lahtes 1872.
dringe, nicht minder die Verfassung des Reichs und seine Heereseinrichtungen
Deutschland inmitten seiner Erfolge vor jeder Versuchung zum Mißbraucht
seiner durch seine Einigung gewonnenen Kraft bewahren würden“, daß es
weit entfernt davon, an Ausdehnung seiner Macht und an neue Kriege zu
denken, vielmehr „ein zuverlässiger Bürge des europäischen Friedens sein
werde, weil es stark und selbstbewußt genug sei, um sich die Ordnung seiner
eigenen Angelegenheiten als sein ausschließliches, aber auch ausreichendes und
zufriedenstellendes Erbtheil zu bewahren“, schließlich aber, daß „die Ausgabe
des deutschen Volkes fortan darin beschlossen sei, sich in dem Wettkampfe um
die Güter des Friedens als Sieger zu erweisen"“. Die Ausführung diese
feierlich gewissermaßen vor Europa übernommenen Verpflichtung wurde inde
erleichtert durch die inneren Verhältnisse des neuen deutschen Reichs. Wem
man einen Blick zurück auf die innere Entwicklung Deutschlands seit den
Jahre 1859 warf, konnte kein Unbefangener verkennen, mit welch leiden-
schaftlicher Energie und welcher Zähigkeit nicht bloß die größeren, sondem
auch die kleineren und sogar einige der kleinsten Staaten Deutschlands gegen
das steigende Uebergewicht Preußens und den immer deutlicher hervortretenden
Anspruch desselben auf die Hegemonie in einem von Oesterreich losgelösten
Deutschland sich sträubten. An mehr als eine Hegemonie unter den mehr
oder weniger gleichberechtigten deutschen Staaten hatte Preußen schon aus
dynastischen Gründen niemals auch nur von ferne gedacht. Diese Hegemonie
aber war jetzt glücklich erreicht und zwar nicht bloß eine nur moralisce
Hegemonie, die jeden Augenblick wieder in Frage gestellt werden konnt,
sondern eine verfassungsmäßig anerkannte und begränzte. Der kleinliche Reid
und der ungesunde Partikularismus, der sich selbst zu genügen wähnte, der
jeden Vortheil, welcher dem Bundesgenossen zuwachsen sollte, als eigenen
Verlust bejammerte und jeden erweiterten Horizont kurzweg für eine Ubepie
erklärte, war in den großen Ereignissen des Jahres 1870 in sein Nichts
zusammengesunken. Preußen hatte sich seine neue Stellung glorreich verdient
und der König von Bayern war es gewesen, der dem greisen Heerführer
der gesammten deutschen Streitkräfte die Kaiserkrone aus freien Stücken an-
bot. Die widerwillige Stimmung, wie sie noch unmittelbar vor dem Kriege
in weiten Kreisen durch ganz Deutschland hin geherrscht hatte, war ver-
schwunden, der grundlose Neid hatte edleren Gefühlen Platz gemacht, der
bewußte Haß mußte wenigstens augenblicklich schweigen; während seinerseits
auch Preußen immer offener und entschiedener in die Bahn einlenkte, sich
von den unläugbaren und zahlreichen Schlacken zu reinigen, die ihm die