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entschieden unter die Macht des Staates zu beugen, wäre mächtig genug,
Italien zu schützen, ohne dafür eine Protection in Anspruch zu nehmen, wie
es Frankreich nach 1859 gethan hat. Eine entschiedene Annäherung zwi— Besuch
schen beiden war daher von der Sachlage selber angezeigt und erhielt –-
Ausdruck in dem Besuche des Kronprinzen und der Kronprinzessin von Ita= kron-
lien am Hofe von Berlin zu Ende Mai 1872, wo sie mit den ausgesuch- w
testen Ehrenbezeugungen aufgenommen wurden. Ob es seither zu einem Paaresn
förmlichen Einverständnisse zwischen beiden Regierungen für alle Eventuali- Berlin.
täten bereits gekommen ist, steht dahin; aber daß es eventuell fast unaus-
weichlich dazu kommen muß, ist kaum zu bezweifeln. Jedenfalls wird sich
Frankreich zweimal besinnen, bevor es zu Entschlüssen greift, welche die
schlimmsten Leidenschaften vergangener Jahrhunderte wieder wach rufen und
ihm höchst wahrscheinlich nur neue Niederlagen bereiten würden. Inzwischen
haben die Ereignisse selbst ohne spezielles Zuthun Deutschlands und zunächst
vielmehr durch die Haltung Frankreichs einen Keil zwischen die Solidarität
der romanischen Nationen hineingetrieben, der für die weitere Entwickelung
der gesammten europäischen Politik von äußerster Bedeutung ist. Für Deutsch-
land aber ist die Stellung zu Italien ein weiteres Moment des Friedens
und gesicherter Machtstellung gegen alle Rachegelüste Frankreichs. Soweit
dieses keine anderen Ansprüche macht, als sich von seiner tiefen Zerrüttung
zu erholen und zu reorganisiren, um friedlich neben und mit allen anderen
Nationen des Welttheils an seiner eigenen Entwickelung und derjenigen des
Ganzen zu arbeiten, sind alle Mächte bereit, ihm die Hand zu reichen und
es in seiner vollen Bedeutung anzuerkennen und zu achten; so wie es aber
Miene machen würde, seine alten Ansprüche auf ein gewisses Uebergewicht
zu erneuern, würde es sich zur Zeit wenigstens vollkommen isolirt sehen.
Selbst die kleineren Mächte, die während des deutsch-französischen Krieges
mit ihren Sympathien entschieden auf Seite Frankreichs standen, haben ihre
Anschauungen seither wenigstens theilweise modifizirt. Die Schweiz voraus Verbält-
hat bezüglich Frankreichs neuerdings allerlei unliebsame Erfahrungen ge- rE
macht, die einer Vorliebe für Frankreich wenigstens nicht günstig waren, wäh= zu
rend die Entwickelung ihrer kirchlich-politischen Interessen seit dem verflossenen Deul
Jahre sie mehr und mehr an die Seite Deutschlands drängen muß, von dem
sie in Wahrheit kaum irgend etwas zu fürchten hat. Holland muß sich end-Holland.
lich überzeugen, daß seine Furcht, von Deutschland verschlungen zu werden,
eine fast kindische war und daß Deutschland weit davon entfernt ist, es in
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