Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Mebersicht der Ereignisse des Jahres 1872. 565 
als aus der ersteren, haben die drei monarchischen Parteien, weil an sich 
ohnmächtig, in seine Dienste sich begeben und der Ultramontanismus ist es 
denn auch, der gegenwärtig in Frankreich in den Maßregeln der Regierung 
wie in den Processionsdemonstrationen der von ihm gelenkten Massen seine 
Triumphe feiert und damit Besitz von dem augenblicklich wenigstens wieder 
eroberten Lande nimmt. In Deutschland ist seine Lage allerdings die ge-Nom und 
rade entgegegengesetzte und doch sehen wir anch hier genau dieselben Erschei- bnhstae 
nungen. Die ultramontane Partei bildet auch hier den Mittelpunkt und die Orvo- 
leitende Seele, der ganzen Opposition gegen das Reich: hannoverische Welfeneen 
und bayerische Partikularisten, politische und kirchliche protestantische Ultras Neich. 
wie revolutionäre Polen kämpfen unter ihrer Aegide und schließen sich an 
die sog. Centrumspartei des Reichstags an. Für sich allein ist auch hier, 
wenn auch aus anderen Gründen, jede dieser Parteien, welche überwundene 
Mächte repräsentiren, unmächtig und hat wenig oder keine Aussicht, jemals 
wieder zur Macht zu gelangen und das neue deutsche Reich wieder aus- 
einander zu sprengen: nur im Gefolge und mit Hilfe der ultramontanen 
Partei und der römischen Kirche ist es vielleicht möglich und nur diese nährt 
die zuversichtliche Hoffnung, damit früher oder später zu Stande zu kommen. 
Die deutsche ultramontane Partei, die ihren Heereskörper in den Bi- rder 
schöfen hat und in den Massen, die sich von diesen willig und unbedingt monta- 
leiten lassen und von der sich immer mehr ausbreitenden sog. katholischen vins. 
Presse möglichst geschult und disciplinirt werden, findet ihren prägnantesten 
Ausdruck, wenn es zur Zeit auch nur gewissermaßen die Vorhut des Heeres 
ist, in der Centrumspartei des Reichstags. Noch vor wenigen Jahren konnte 
man sich darüber streiten und stritt auch darüber, was denn eigentlich ultra- 
montan sei. Heute ist dieß kaum mehr möglich. Damals bestanden inner- 
halb der katholischen Kirche noch verschiedene Richtungen und Anschauungen, 
die, unvereinbar unter einander, sich bekämpften und bekämpfen konnten, 
ohne daß damit irgend eine derselben das Recht verlor, sich römisch-katholisch 
nennen zu dürfen. Jetzt hat Rom gesprochen und was es nicht officiell ver- 
kündet hat, das sprechen seine, zum Theil ausdrücklich als solche anerkannten 
Organe officiös auf's deutlichste aus. Die Kirche ist eine göttliche Insti- 
tution und zwar nicht etwa bloß in ihrem Ursprunge und in ihren dog- 
matischen Grundlagen, sondern auch in ihrem ganzen äußern Organismus 
und bis in seine letzten Ausläufer. Sie ist das Reich Gottes auf Erden, 
der Papst sein Statthalter. Dieser aber ist lehramtlich — daß er es nur 
in dieser Beschränkung sein soll, kann unbedenklich zugegeben werden, weil
	        
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