578 Uebersicht der Ereignisse des Jahres 1872.
Gesetzesentwurf als Vorlage an den Reichstag, der wenigstens die Ausweisung
einzelner Mitglieder des Ordens durch die Landespolizeibehörden ermöglichen
sollte. Dieser Antrag entsprach indessen dem e.# sten Beschlusse des Reichstags
nur in sehr ungenügender Weise und erschien der in dieser Frage compacten
Majorität desselben fast wie ein Schlag ins Wasser: dieselbe verlangte eine
Maßregel nicht gegen diesen oder jenen einzelnen Jesuiten, sondern gegen den
Orden als solchen. Wieder traten sämmtliche Fractionen zusammen: zuerst
berieth jede für sich, dann verständigten sie sich durch Delegirte über eine
Beschlußfassung, welche den Antrag des Bundesrathes dahin modificirte, daß
der Orden der Jesuiten aus dem deutschen Reiche ganz ausgeschloßen und
seine Niederlassungen binnen einer bestimmten Frist aufgehoben werden sollten;
die Vollzugsbestimmungen sollten dagegen dem Bundesrath und die Aus-
führung derselben den Landespolizeibehörden überlassen bleiben. Dieser Antrag
wurde vom Reichstag am 17. Juni mit 183 gegen 101 Stimmen (des
clerikalen Centrums und der äußersten Linken) in zweiter und am 19. Juni
mit 181 gegen 93 Stimmen in dritter Lesung angenommen. Zugleich
erklärte sich der Reichstag mit 150 gegen 100 Stimmen für Einführung
der Civilehe und für Ordnung der Civilstandsregister, das heißt für Ueber-
tragung derselben an bürgerliche Beamtete. Der Bundesrath genehmigte den
Beschluß am 25. desselben Monats, bis auf die Stimme eines der Kleinsten
unter den Kleinen, Reuß ä. L., einstimmig und verständigte sich über eine Ver-
ordnung betreffend seine wirksame Vollziehung. Am 5. Juli unterzeichnete der
Kaiser im Bad Ems das Gesetz. Die zahlreichsten und wichtigsten Nieder-
lassungen des Ordens befanden sich auf dem Gebicte Preußens, außerdem gab
es nur noch solche in Hessen (Mainz) und in Bayern (Regensburg). Mit
Anfang August begann die preußische Regierung ihrerseits mit der Ausführung
des Gesetzes und zwar in sehr durchgreifender Weise. Die Jesuiten und
ihre Partei hatten gehofft, von ihrer bisherigen Stellung wenigstens soviel
zu retten, daß sie ihre Thätigkeit etwas weniger offen und in anderer Weise,
aber im Wesentlichen doch nach wie vor würden fortsetzen können; da und
dort meinten sie, selbst ihre Niederlassungen als angebliche Gäste dieses oder
jenes ultramontanen Adeligen oder als angebliche Pfarrgeistlichkeit dieser oder
jener Kirche beibehalten, jedenfalls aber ihre priesterliche Thätigkeit fortsetzen
zu können, bis der Sturm vorüber wäre und alles wieder ins alte Geleise
zurückkehren könne. Allein die preußische Regierung war nicht gemeint, nur
der Form zu genügen und den eigentlichen Zweck des Gesetzes sich unter der
Hand entschlüpfen zu lassen. Das Gesetz wurde, und darin folgten Hessen