AUcbersicht der Ereignisse des Jahres 1872. 589
schließlichen Ausgang darf man ganz beruhigt sein. Die Thatsachen, welche
die letzten zehn Jahre in die Geschicke Preußens hineingewoben haben, wirken
fort und fort durch ihre eigene Schwere und mit unwiderstehlicher Gewalt.
Was im Laufe des Jahres in den andern deutschen Staaten in die
Erscheinung trat, reicht an Bedeutung bei weitem nicht an die Vorgänge in
Preußen. In Bayer# namentlich brachte das Gleichgewicht der Parteien Ba#e##.
die Staatsmaschine zu einer Art von Stillstand oder erlaubte ihr doch nur,
im bisherigen Geleise fortzuarbeiten, ohne viel von der Stelle zu rücken.
Doch mußte es immerhin als ein Gewinn betrachtet werden, daß die sog.
patriotisch -clericale Partei sich umsonst abarbeitete, auch nur ein einziges
ihrer Ziele zu erreichen. Als der gegenwärtige Landtag nach den allgemei-
nen Neuwahlen im Jahre 1869 zuerst zusammentrat, verfügte diese Partei
bekanntlich über eine Majorität von freilich nur wenigen Stimmen, aber
ihre Führer gedachten von derselben energischen Gebrauch zu machen. Der
Sturz des Ministeriums Hohenlohe-Lutz, die möglichste Loslösung von Preußen
und der Politik des norddeutschen Bundes, die Wiederaufrichtung des starrsten
Particularismus mit stark katholischer Färbung, die Beschränkung der Staats-
ausgaben, namentlich des Militäraufwandes, und die Wiederabschaffung der
liberalen Errungenschaften des abgelaufenen Jahrzehents, soweit es nur immer
möglich wäre, das waren ihre Pläne, deren Durchführung zum mindesten
durchaus im Bereiche der Möglichkeit zu liegen schien. Allein das einzige,
was sie im ersten Ansturm wirklich durchsetzte, war nicht zwar der Sturz des
ganzen Ministeriums, aber doch der Rücktritt des Ministerpräsidenten Fürsten
Hohenlohe. Im Uebrigen erlitt die Partei dagegen Niederlage auf Nieder-
lage. Eben als sie am besten daran war, das Budget in endlos gründ-
lichen Debatten nach ihren Anschauungen und ihren Zwecken vollständig um-
zuarbeiten und das Militärwesen in einer Weise zu beschränken, die fast.
unausweichlich zu einem Conflict mit der Krone hätte führen müssen, brach
der Sturm von Westen los und zerriß alle ihre Pläne wie Spinneweben.
Hochherzig und entschlossen trat der König in diesem für Jahrhunderte hinaus
entscheidenden Augenblicke auf die Seite Preußens und Deutschlands und die
Partei erlitt mit ihrem Antrage auf Neutralität und Bruch des Schutz= und
Trutzbündnisses mit Preußen die erste große Niederlage. Eine zweite nicht
minder schwere erlitt sie, als der Landtag den Versailler Verträgen behufs
Wiederaufrichtung des deutschen Reichs zustimmte, nachdem es wieder der
König gewesen war, der jene Verträge abgeschlossen und zuerst den deutschen
Fürsten vorgeschlagen hatte, den König von Preußen zum deutschen Kaiser