Aebersicht der Ereignisse des Zahrts 1872. 617
ten sich verletzt und bereiteten sich zu einem energischen Widerstande: die
inneren und überhaupt die katholischen und ferner die französischen oder
wälschen Kantone. Jenes sind die alten Sonderbundcantone, in denen allen,
zuletzt auch in Zug und Luzern, eben diejenigen Elemente wieder ans Ruder
gekommen waren, die im J. 1847 mit Waffengewalt hatten unterdrückt
werden müssen, und ihr Widerstand war vorauszusehen gewesen. Die Op-
position der französischen Schweiz dagegen war eine neue und sehr un-
erfreuliche Erscheinung: sie glaubte sich von dem Einflusse der deutschen
Schweiz, die allerdings die Majorität des Schweizervolkes bildet, beeinträch-
tigt und geradezu bedroht und verschanzte sich gegen diese in Wahrheit le-
diglich eingebildete Gefahr, die wesentlich eine Folge des deutsch-französischen
Krieges zu sein scheint, hinter die absolute Cantonalität. Schon in der
Bundesversammlung war diese Strömung energisch zu Tage getreten und
die Behauptung, daß die beabsichtigte Revision dem Föderalismus und damit
dem Fundament der Eidgenossenschaft zu nahe trete. Von Seite der wäl-
schen Kantone war diese Behauptung wenigstens begreiflich, nicht so dapegen
die hartnäckige und heftige Opposition, welche ein Mitglied der Bundes-
regierung selber, Bundesrath Dubs, der Revision machte, wie er denn auch,
nachdem sie beschlossen war, aus dem Bundesrath austrat und sich an die
Spitze aller oppositionellen Elemente stellen ließ. War doch derselbe einer
der eifrigsten Begründer und Förderer der Bundesverfassung von 1848 ge-
wesen; diese aber mit Allem, was derselben vorausging, war nicht eine Re-
vision, sondern eine vollständige Umwälzung gewesen; damals wurde dem
bis dahin verfassungsmäßigen Föderalismus im Interesse des Ganzen aller-
dings, aber immerhin unzweifelhaft Gewalt angethan, damals konnte man
verschiedener Ansicht sein und in gutem Glauben Widerstand leisten; damals
aber wurde die Frage grundsätzlich und für immer entschieden; das Revi-
sionswerk von 1872 war im Wesentlichen nur eine Weiterbildung nur die
einfache Consequenz desjenigen von 1848 und was vielleicht darüber hinaus-
ging, war an sich nicht von allzugroßer Bedeutung und konnte jedenfalls
gegenüber dem, was 1847—48 durchgesetzt worden war, ganz und gar
nicht in Betracht kommen. Inzwischen wurde gegen die Revision lebhaft
agitirt, zumal in den französischen und den katholischen Kantonen und das
Resultat war, daß dieselbe verworfen wurde und auch die Abstimmung nach
Cantonen eine Majorität gegen sie auswies. Die Majorität für Verwer-
fung betrug jedoch bei mehr als 500,000 Abstimmenden nur die winzige
Zahl von 5511 Stimmen und es ist sehr begreiflich, daß die Partei der