Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

618 Mebersicht der Ereignisse des Jahres 1872. 
Revision dieses Resultat als kein definitives ansah und sofort den Entschluß 
faßte, die Frage so bald wie möglich wieder aufzunehmen. Wie sie dieß- 
mal mit einigen Tausend Stimmen verworfen worden war, so konnte sie 
leicht beim nächsten Anlauf mit ebensoviel Stimmen angenommen werden. 
Doch wäre ihnen damit nicht viel geholfen gewesen und war das auch gar 
nicht ihre Berechnung. In den katholischen Kantonen war allerdings ein 
Umschwung der Stimmung nicht zu erwarten, wohl aber in der Westschweiz. 
Jene waren längst gewohnt, sich vor den Ansprüchen der kath. Hierarchie 
willenlos zu beugen und ihre Sache zu der eigenen zu machen und die Re- 
visionsfreunde bildeten in allen eine meist nur kleine Minderheit. Von den 
wälschen Kantonen hatte dagegen in einigen die Minderheit der Mehrheit fast 
die Wage gehalten, wie in Neuenburg und Tessin, in Genf war sie wenig- 
stens eine sehr ansehnliche und nur in Waadt eine verschwindend kleine ge- 
wesen; in allen aber hatte die momentane Aufregung ihren Ursprung mehr 
in unklaren Vorstellungen als in realen Interessen. Die Revision in ihren 
Grundzügen beabsichtigte keineswegs die Rechte der Bürger zu beeinträchtigen 
oder zu verkürzen, sondern im Gegentheil von Bundeswegen besser zu wah- 
ren, als es den cantonalen Gewalten möglich war. Der Zufall wollte es, 
daß dieß den wälschen Kantonen wenigstens in Einem Fall recht nahe ge- 
legt werden sollte. Der Bischofssitz von Genf war seit der Neformation 
eingegangen und derjenige von Lausanne nach dem kath. Freiburg verlegt 
worden; zu dieser Diöcese gehörte nunmehr auch Genf. Seit dem I. 1815 
besaß Genf wieder eine Anzahl kath. Gemeinden und diese vermehrten sich 
fortwährend ziemlich stark durch Zuzug aus dem benachbarten Savoyen. 
Von der Propaganda in Lyon wurden die kath. Bestrebungen aufs lebhaf- 
teste unterstützt und schon zu Anfang der Vierzigerjahre sprachen die Genfer 
Katholiken laut die Hoffnung aus, dereinst werde ganz Genf wieder katholisch 
und die Messe wieder vom Bischof von Genf im St. Pierre celebrirt wer- 
den. Mit ihrer Hilfe stürzte der radicale James Fazy das bis dahin con- 
servative Regiment und schwang sich für eine Neihe von Jahren zum 
thatsächlichen Dictator von Genf auf, wobei er seine radicalen Anschau- 
ungen mit den sehr realen Interessen der Genfer Ultramontanen vor- 
trefflich zu verquicken verstand. Beide Theile dachten sich gegenseitig zu 
benützen und auszunützen, bis sich beide abgenützt hatten. James Fazy“ 
verlor allmälig seinen Einfluß fast gänzlich und die Regierung sah sich 
ihrerseits genöthigt, den Umtrieben und Ansprüchen der Ultramontanen ein 
schärferes Auge zuzuwenden. Inzwischen hatte nämlich, schon im J. 1864,
	        
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