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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
Armee im Vertrauen auf die Geschicklichkeit ihres Führers, vielleicht aber mit
seiner Leitung nicht zufrieden, für Zwecke, die nicht die ihrigen find. Der
Abg. Dr. Windtborst ist mir zuerst bekannt geworden als treuer Anhänger
König Georgs V., und ich habe den Vorzug gehabt, in dieser Eigenschaft mit
ihm Verhandlungen über die intimen Angelegenheiten Sr. Majestät des Königs
zu führen. Ich habe bisher nicht wahrgenommen, daß er dieser seiner auf
seine ganze Vergangenheit mit Recht begründeten Anhänglichkeit an seinen
Monarchen und dessen Sache entsagt hat. Seine politischen Handlungen stehen
an sich mit der Annahme, zu der viele geneigt sein möchten, daß sein Herz
noch heute an jenem Monarchen hängt, nicht nothwendig im Widerspruch.
Er betheiligt sich viel an den Debatten, viele seine Worte strömen Über von
Oel, aber nicht von dem, was Wunden heilt, sondern von dem, das die
Flamme schürt. Ich habe selten gesehen, daß die Worte des Hrn. Abgeord-
neten auf Versöhnung berechnet waren, oder, ich will mich objectiv ausdrücken,
dazu geeignet waren. Sicher waren sie immer dazu angethan, außerhalb
dieser Räume einen beunruhigenden und befremdlichen Eindruck auf die politisch
weniger urtheilsfähigen Leute zu machen. Sie machen den Eindruck, daß hier
Dinge discutirt und von Seiten der Negierung eines Königs von Hohenzollern
begonnen wurden, die selbstverständlich verderblich sind. Wir sind mitunter
erstaunt — und Sie werden mir alle darin Recht geben — wenn der Hr.
Abgeordnete eine zweifellose gemeinplätzige Frage hier ganz besonders betont,
so daß es den Eindruck machen muß, als ob er ganz allein dafür eintreten
müsse, und die gegnerische Partei und die Regierung bestritte das. Es mag
dieß eine Angewohnheit sein. (Heiterkeit.) Aber nach außen hin muß es doch
den Eindruck machen, als ob hier so ruchlose Leute säßen, als ob in der Re-
gierung solche Leute wären, welche wirklich den heidnischen Staat wollten, wie
sich gestern der Hr. Abgeordnete ausdrückte. Es liegt hier ein Gesetz vor,
mit seinen Motiven von der ganzen Staatsregierung erwogen, und von Sr.
Maj. dem König unterzeichnet, aber auf diejenigen, welche die Reden des Hrn.
Abg. Windthorst lesen, kann es sehr wohl den Eindruck machen, als sei dieses
Gesetz wirklich dazu bestimmt, das Heidenthum bei uns einzuführen — der
gemeine Mann hat ja nicht den Beruf und auch nicht die Fähigkeit das zu
prüfen — als solle wirklich hiemit mit der Unterschrift eines Hohenzollern-
Königs ein Staat ohne Gott eingeführt werden, als seien der Hr. Abgeordnete
von Meppen und die seinigen die alleinigen Vertheidiger Gottes. Der Gott,
an den ich glaube, möge mich davor bewahren, daß der Hr. Abgeordnete für
Meppen jemals die Disposition über die Spendungen seiner Gnade über mich
haben möge. (Große Heiterkeit.) Ich habe Zweifel ausgesprochen, ob der
Hr. Abgeordnete für Meppen noch den alten Trieb der Anhänglichkeit an das
honnoverische Königshaus hat, in Betreff dessen er zuerst mit mir unterhandelt
hat. Er hat unbedingt erklärt: er hänge an der preußischen Verfassung.
Ist dieß nun damit widerlegt! Man kann von der Verfassung einen ver-
schiedenen Gebrauch machen, man kann sie studieren und sie emsig zu befolgen
bemüht sein. Aber wie versteht er die Verfossung Er hat neulich hier mit
einer gewissen Geringschätzung von der Mehrheit gesprochen, auf die mich zu
stützen ich bemüht sei. Er hat mich in die Lage gebracht, bei meinen früheren
Freunden für einen Mann zu gelten, der blindlings der Mehrheit folgt. Ich
werde gleich das Material aus den Acten klar legen, das ihm zu diesen
Ausführungen zu Gebote stand. Ich habe in meinem Leben, glaube ich, ge-
nug gezeigt, daß ich Widerstand leisten könne, und ich würde es auch jetzt noch
im Stande sein, wenn der Hr. Abgeordnete für Meppen eine Mehrheit für
sich im Lande haben könnte. Ich will anführen, was ich damals gesagt habe:
„Wenn der Herr Vorredner zuvörderst den Umstand tadelt, daß kein Katholik
im Ministerium sei, so kann ich nur constatiren: ich würde einen katholischen
Collegen mit Freuden begrüßen, aber jetzt bedürfen wir in einem constitu-
tionellen Staat eine Mehrheit, die unsere Richtung im ganzen unterstützt.“