Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Elieder. 65 
gesagt worden, daß es sich zur Aufgabe gestellt habe, in dem sonst allezeit ge- 
treuen Oberschlesien eine polnische Fraction zu schaffen, und daß ihm das 
unter dem Beistande kaiholischer Geistlichen zum Theil deutscher Nationalität 
gelungen sei. Ich komme damit auf den dritten Bundesgenossen, den Sie 
haben, der des Streites und des Kampfes bedarf, das sind die Bestrebungen 
des polnischen Adels. Ich habe bisher keine Fälle registrirt, wo Sie hier 
diese Fraction — ich sage ausdrücklich nicht die polnische, sondern die Fraction 
des polnischen Adels — seine Bestrebungen, die er ja ganz offenkundig im 
Reichstag u. s. w. bekannt hat, direct unterstützt hätten; aber die Thatsache, 
die auch der Hr. Abgeordnete Strosser, wenn ich ihm die Acten, die mir zu 
Gebote stehen, zur Einsicht vorlege, nicht läugnen wird, ist die, daß im all- 
gemeinen die katholische Geistlichkeit — auch deutscher Zunge — die Bestre- 
bungen des polnischen Adels, sich von dem Deutschen in der preußischen Mon- 
archie zu lösen und das alte Polen in seinen früheren Gränzen wiederherzustellen, 
begünstigt, mit Wohlwollen behandelt und, soweit es ohne Verletzung der 
Strafgesetze geschehen kann, gefördert hat, und das ist einer der empfindlichsten 
Punkte, in denen der Kampf von Seiten der katholischen Kirche gegen die 
Staatsregierung zuerst eröffnet worden ist, und wo jeder Minister, der sich 
seiner Verantwortlichkeit bewußt ist, dahin sehen muß, daß der Staat in Zu- 
kunft davor bewahrt werde. Was die Bestrebungen des polnischen Adels 
betrifft, so brauche ich dieselben gar nicht zu charakterifiren, die Herren machen 
ja gar kein Hehl daraus, sie sind fortwährend bereit, mit der einen Hand die 
Wohlthaten der Civilisation und der regelmäßigen Rechtspflege, der Freiheit, 
die ihnen die preußische Verfassung gewährt, anzunehmen, und mit der anderen 
Hand das Schwert zu schwingen und offen zu sagen: „Hiermit werde ich 
auf dich einhauen, sobald mir irgendeine gute Gelegenheit dazu wird; denn 
ich bin mit dem jetzigen Zustand unzufrieden, ich will ihn lösen.“" Ein rein 
principielles theoretisches Bekenntniß, daß der preußische Staat zerfetzt werden 
müsse und die früheren polnischen Bestandtheile von ihm getrennt, kann nicht 
vom Strafrecht verfolgt, also auch nicht verurtheilt werden. Aber wir 
haben es nun in Bezug auf einzelne Landestheile 100 Jahre mit angesehen 
und häiten es ohne den Parteikampf der Geistlichen noch 100 Jahre lang 
weiter mit anzusehen. So aber müssen wir wenigstens die Keime dessen, was 
staatsgefährliches sich daraus entwickeln kann, verhindern, so viel es uns mög- 
lich ist. Hr. Abg. Strosser ist der Meinung gewesen: wenn das staatsgefähr- 
liche Dinge wären, so könne es doch nicht so schwer sein, sie vor den Richter 
zu bringen; dann muß er sich aber sehr wenig im praktischen Leben bewegt 
haben, um eine so wenig zutreffende Aeußerung auszusprechen. Wie gedenken 
Sie das richten zu wollen, wenn die Beschwerden, die mir gegen diese Geist- 
lichen als Schulinspectoren eingegangen sind, melden, daß sie die deutsche 
Sprache nicht zu ihrem gesetzlichen Recht kommen lassen, sondern dagegen 
wirken, daß die deutsche Sprache ordentlich gelehrt werde, daß der Lehrer, bei 
dem gute Fortschritie der Schüler in der deutschen Sprache constatirt werden, 
keine gute Censur von dem Geistlichen erhält, daß bisher unter dem frühern 
Cultusminister die meisten Stellen von Leuten besetzt waren, die, obgleich 
Deutsche, ich weiß nicht, aus welchen Gründen, mit diesen Bestrebungen sym- 
pathisirten, bei denen die Kinder in halb polnischen Landestheilen nicht Hoch- 
deutsch lernen. Wenn man die Umstände ins Auge faßt, daß wir in West- 
preußen Gemeinden haben, die früher deutsch waren, und wo jetzt die junge 
Generation nicht mehr Deutsch versteht, so legt das für die Thätigkeit der 
polnischen Agitation seit 100 Jahren einen deutlichen Beweis ab. Aber diese 
Agitation lebt doch nur von der Gutmüthigkeit des Staates. Wir sind heute 
nicht gewillt, sie weiter fortzusetzen; sie ist zu Ende; wir wissen, was wir dem 
Staate schuldig sind. (Beifall.) Und wenn sie uns jetzt noch mit weiteren 
Anträgen und Klagen zu Gunsten der polnischen Sprache kommen, so werden 
wir im Gegentheil ihnen mit einer Gesetzvorlage zu Gunsten der
	        
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