Das deutsche Reich und seine einzelnen Elieder. 91
Wehrpflicht aus; im Verkehr mit den Cameraden lernen die Leute wieder
deutsch sprechen. Und wenn man sagt: der Schullehrer habe in unsern sieg-
reichen Schlachten gesiegt, so ist das etwas ausgeschmückt; man kann fast um-
gekehrt sagen: die aus dem Felde zurückkehrenden Soldaten werden zu Lehrern
ihrer Umgebung. Sie haben Reinlichkeit, Ordnung, Gehorsam und vor allem
Deutsch gelernt, und werden dadurch zu Pionieren der Cultur in den Landes-
theilen mit gemischter Bevölkerung. Wie weit die Uebelstände z. B. in dem
Regierungsbezirk Marienwerder vorgeschritten sind, mag ihnen der Umstand
beweisen, daß viele polnische Eltern mich gebeten haben, ihre Kinder nicht in
die polnische Local-, sondern in die benachbarten deutschen Schulen schicken zu
dürfen. (Hört!) Nehmen Sie die Vorlage der Regierung an; sie ist durch
die Nothwendigkeit gebolen, geht nicht zu weit und verletzt keines jener Prin-
cipien, die uns so heilig sind, wie den conservativsten Gegnern der Vorlage.
Minister Falk: Die Veränderungen, welche die Commission an §. 1 der
Regierungsvorlage vorgenommen hat, sind eigentlich nicht materieller Natur;
sie sind mehr Sache der Form, und ich glaube, daß für Sie kein Grund
vorliegt, an diesen Aenderungen festzuhalten. Da es sich in §. 1 aber auch
um ein Princip handelt, so ist es für mich Recht und Pflicht, für dieses
Princip einzutreten. Referent hat gestern gesagt: das Gesetz nehme der Kirche
ihr Eigenthum ebenso, wie wenn der Staat etwa alles Privateigenthum mit
Beschlag belegte, und erklärte: an dem bestehenden Zustande werde dadurch
nichts geändert. Das ist ein recht drastischer und wirksamer Satz, aber er
trifft doch nicht zu, wenn die beiden größten sittlichen Gestaltungen der
Menschheit, Staat und Kirche, sich über ihr gegenseitiges Verhältniß zu klären
suchen. Das Anrecht der Kirche an die Schule ist durch Art. 24 der Ver-
fassung garantirt. Immerhin freilich wird sie sich durch den Staat eine ge-
wisse Aufsicht gefallen lassen müssen, daß sie nicht Lehren predigt, welche den
Staat schädigen, oder auch daß sie nicht die Religion in unwürdiger Form
lehrt. Was H#n. v. Ladenberg anbetrifft, der uns jetzt so oft als Autorität
entgegengeführt wird, so hat er genau dieselbe Anschauung gehabt, wie die
jetzige Regierung. Hr. v. Ladenberg hatte nur damals einen detaillirten
Unterrichtsgesetzentwurf ausgearbeitet, auf den er sich bei seinen Aeußerungen
beständig bezog; dieses concrete Bild schwebte ihm immer vor. Wie er prin-
cipiell über die Frage dachte, hat er am 12. Dec. 1849 sehr klar in der
damaligen ersten Kammer ausgesprochen. Er sagte ausdrücklich: Das Recht
der Oberaufsicht Über die Schule, wie es das Landrecht schon ausspricht, darf der
Staat mit Niemandem theilen. Der Minister widerlegt dann noch im einzelnen
die Bedenken, daß das Gesetz gerade für Hannover besondere Gefahren habe.
Fürst Bismarck ergreift nochmals das Wort, um hervorzuheben, er habe
in seiner ersten Rede keineswegs die Theorie vom beschränkten Unterthanen-
verstande reactiviren, sondern nur bemerken wollen, daß man in einzelnen
Fällen das eigene Urtheil demjenigen der Regierung, welcher man vertroue,
unterordnen müsse. Der Ministerpräsident schließt: „Wenn Sie glauben, daß
der Mann, der an der Spitze der Regierung steht, von seinem hohen Stand-
punkt nicht soviel sehe, als Sie von Ihrem Standpunkt von der Ebene, dann
ist Ihre Pflicht, meinen Platz einzunehmen, statt mir Schwierigkeiten in den
Weg zu legen; das ist nicht patriotisch.“
Das Gesetz wird mit 125 gegen 76 Stimmen angenommen und
auch der Antrag des Grafen Brühl, dasselbe als Verfassungsgesetz
anzusehen und demgemäß zu behandeln, gegen nur wenige Stimmen
abgelehnt. Die Mehrheit, mit der das Gesetz angenommen wird,
übertrifft alle dießfalls gehegten Erwartungen.
6. März. (Elsaß-Lothringen.) Ernennung von Bezirks-Landwehr-
Commandeuren für die neuen Reichslande. Es werden zunächst die
Kadres für 4 Landwehrbataillone formirt.