Full text: Europäischer Geschichtskalender. Siebzehnter Jahrgang. 1876. (17)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 29.) 103 
meistern gesagt: „In politischen Sachen habt Ihr auf die Geistlichen so 
wenig aufzupassen. wie auf Euere Schweinehirten, der ganze Clerus taugt 
nichts, einer macht's wie der andere.“ Er habe ferner auf die Sautner- 
Affaire angespielt und gesagt, so sei der ganze Clerus. So habe der Be- 
zirksamtmann von Velburg eine Stunde lang die Bürgermeister in der 
ängstlichsten und peinlichsten Stimmung erhalten und einen Sturm in der 
Bevölkerung erregt, der jetzt noch andauere. Die Pfarrer hätten dagegen 
einen Protest erhoben, stott aber auf den Protest einzugehen, habe man gegen 
die Presse Untersuchung eingeleitet, welche jene Aeußerungen, also Thatsachen, 
einfach berichtet. Das seien Vorgänge, die gewiß zu denken geben müßten. 
Es sei noch weiteres vorgegangen In Neumarkt (Oberpfalz) habe der Bür- 
germeister von dem königlichen Erlaß eigene Abdrücke drucken lassen und dem 
dortigen friedlichen Pfarrer eine Falle gelegt, dadurch, daß er sie an allen Ecken 
und Enden der Kirche anschlagen ließ. Dieß sei ein Eingriff in das Privateigen- 
thum, statt sich aber darüber Rechenschaft zu geben, habe man den Meßner 
und Meßmergehilfen in Untersuchung genommen. Scherzweise möge erwähnt 
sein, daß ein anderer Bezirksamtmann einem Cooperator den Erlaß durch 
den Gemeindediener mit dem Befehle zuschickte, ihn von der Kanzel zu ver- 
lesen, was der Cooperator natürlich verweigerte. Solche Mißstände müßten 
zur Erbitterung führen. Wenn man das für Recht erkenne, dann habe 
Bayern nicht nur aufgehört, ein Rechtsstaat zu sein, sondern höre auch auf 
ein Culturstaat zu sein, denn das sei keine Cultur mehr. Staatsminister 
v. Pfeufer: Mitglieder einer Partei, die sich als die patriotische gerirt, 
hätten Alles eher zu einem Angriffsobjecte gegen die Staatsregierung be- 
nützen sollen, als gerade das allerhöchste Handschreiben. Es sei von Hrn. 
Ratzinger behauptet worden, durch dieses Handschreiben sei der Unfriede ver- 
ursacht worden. Die Publication des allerhöchsten Handschreibens sei von S.M. 
dem König angeordnet worden, die Art und Weise aber, wie es 
publiezirt werden solle, sei dem königlichen Staatsministerium überlassen ge- 
wesen. Hätte es das Ministerium im Amtsblatt, das, wie ein Mitglied 
erklärt habe, sehr wenig gelesen werde, abdrucken lassen, so würde das wenig 
geholfen haben. Gerade durch die öffentliche Publication ist in vielen Ge- 
meinden der Schleier der Unwissenheit und Lüge gelüftet worden. Durch 
dieses Handschreiben ist in den Gemeinden bekannt geworden, daß das Ge 
sammtministerium das Vertrauen des Thrones besitze und in jeder Hinsicht 
seine Pflicht und Schuldigkeit im vollsten Maße gethan habe. 
Rechte) frage, ob diese Pulikation auf gesetzlicher Basis beruht habe? 
Darauf hätten 8000 Bürgermeister   mit „Ja“ geantwortet. Sie hätten es 
als ein Gefühl des Aufstandes  betrachtet, bas königliche Wort in der Weise 
zu publiciren, wie es das königliche Staatsministerium angeordnet. Wenn 
die Bürgermeister die Anordnungen des königlichen Staatsministeriums be- 
folgt, so hätten sie nichts anderes gethan, als ihre Pflicht als Vollzugs- 
organe erfüllt. Man habe dem Staatsministerium vorgeworfen, daß es 
unbedingten Gehorsam von den Verwaltungsorganen gefordert habe. Dem 
gegenüber erkläre er: der Verwaltungsbeamte sei, sobald er als Richter des 
öffentlichen Rechtes auftrete, ebenso unabhängig und selbstständig als der 
Richter; er müsse aber unbedingt gehorchen, und könne er dieß nicht wegen 
seiner politischen Ueberzeugung, so bleibe ihm nichts übrig, als den Staats- 
dienst zu verlassen. Redner geht nun auf einzelne Fälle über, die Gegen- 
stand der Presse geworden und wendet sich dann gegen die Aeußerungen des 
Hrn. Ratzinger. Wenn Hr. Ratzinger behaupte, daß die Districtsraths= und 
Landrathsgesetzgebung den Zweck nicht erfüllt habe, so könne er ihm 
nur sagen, daß dieß das erste und einzige Gutachten sei, das er über dieses 
Gesetz gehört habe. Er glaube, daß kein Gesetz sich so rasch in die Bevöl-
	        
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