Das deutsche Reich und seine einzlnen Glieder. (März 30) 107
und Democraten): In Erwägung, daß in politischer, finanzieller und wirth-
schaftlicher Beziehung das Wohl Würtembergs, so wie die föderative Grund-
lage und gedeihliche Entwicklung des Reiches selbst gefährdet werden, wenn
zunächst die preußischen Eisenbahnen und in der Folge auch die Bahnen des
übrigen Deutschlands auf das Reich übertragen würden, erlauben sich die
Unterzeichneien die Anfrage an den Herrn Minister der auswärtigen Ange-
legenheiten und Verkehrsanstalten: 1) was ist der königlichen Staatsregierung
über die Absicht der königlich preußischen Regierung in Betreff der Ueber-
tragung deutscher Eisenbahnen auf das Reich bekannt, und welche Stellung
wird sie zu derselben einnehmen? 2) welche Rechtsansicht ist die königliche
Staatsregierung in Betreff der Frage zu vertreten entschlossen, ob reichsver-
fassungmäßig die Uebernahme der preußischen und anderer Eisenbahnen auf
Reich im Bundesrath mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossen werden
könne, und ob, wenn es sich um die Uebernahme der würtembergischen Eisen-
bahnen handelt, hierzu die Zustimmung. der würtembergischen Landesver-
tretung nothwendig sei? weiches ist der Stand der Verhandlungen über
die Ausführung der Art. 41—47 der Reichsverfassung. und welche Stellung
nimmt die Regierung zu der Frage der „möglichsten Gleichmäßigkeit und
Herabsetzung der Tarife“ mit Rücksicht auf die Interessen unseres Landes ein?
der Debatte vertheidigt zuerst der Abgeordnete Schmid unter
dem Bafall der Majorität der Kammer seinen Antrag; er beleuchlet den
Ankauf deutscher oder nur preußischer Bahnen von der historischen, politi-
schen, volkswirthschaftlichen und finanziellen Seite, stellt den Unterschied dar
zwischen dem bezüglichen Antrage in der sächsischen Kammer-. und dem seinigen
— dieser wolle das politische Decorum wahren und die Schaffung eines
Reichseisenbahngesetze veranlassen, in dem Sinne jedoch, daß die Verwaltung
der Bahnen nicht an das Reich falle. Elben schildert zunächst nach einer
warmen Anerkennung der würtembergischen Eisenbahnverwaltung die Zer-
splitterung des deutschen Eisenbahnwesens und die daraus hervorgehenden Schäden.
Er hält dieser Zersplitterung die festere. Organisation besonders
in Frankreich und auch in England in wenigen großen Verwaltungen gegen-
über. Abhilfe sollte in Deutschland das Reichseisenbahngesetz bringen, das
aber bis jetzt nicht zu erzielen gewesen. Er könne aus seiner Kenntniß der
Dinge Berlin beifügen, daß nicht von der würtembergischen Regierung
der Widerstand ausgegangen sei. In Betreff der neuesten preußischen Vor-
lage bedauert er, daß man hier verhandle, ohne die näheren Aufschlüsse ab-
zuwarten, welche in wenigen Tagen in der preußischen Kammer zu erwarten
stünden, und hebt dann hervor, wie der bisherige Widerstand wesentlich dem
Ankaufe der gesammten Eisenbahnen gegolten habe, während jene Vorlage
bloß die preußischen Staatsbahnen umfasse. Auf längere Zeit könne dieß
Verhältniß nicht bestehen, Der Kern der preußischen Vorlage sei nur die
Alternative: Reform durch das Reich oder einseitige preußische Eisenbahn=
politik. Elben zeigt eingehend. den Unterschied zwischen beiden und führt
Preußen's Verkehrsgebiet auf, ches fast alle deutschen Handelsstraßen be-
herrsche. Er zeigt das alsdann entstehende Uebergewicht, welches auf's Em-
pfindlichste di Alleinstehenden träfe; er glaubt insbesondere, daß Baden der
Verkehrszone des preußisch- rheinischen Gebietes zufiele und der Isolirung
verfallen werde. Er entscheidet sich daher für die Reform durch das Reich
und schließt mit der Erinnerung an den Zollverein, der auch einst in der
würtemb. Kammer bekämpft worden sei und doch jede Krise überstanden
habe. Auch der Gedanke dieser Reform durch das Reich, wenn auch heule
noch unreif, gehöre der Zukunft. Minister Mittnacht: man werde nicht
fehl gehen, wenn man das Reichseisenbahnproject in Verbindung bringe mit
dem Nichtzustandekommen des Reichseisenbahngesetzes. Zwei Entwürfe in