Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 30. — April 1.) 109
30. März. (Sachsen.) II. Kammer: die Regierung legt der-
selben einen Gesetz-Entwurf betr. die Ausübung des staatlichen Ober-
aufsichtsrechtes über die kath. Kirche vor.
Der Entwurf ist im Ganzen mit einer um so anerkennenswertheren
Entschiedenheit und Consequenz abgefaßt, als das Gesetz die Unterschrift eines
katholischen Fürsten tragen wird. Was in Preußen seit den Maigesetzen
schrittweise eingeführt worden, wird hier auf einmal verfügt. Das schon
bestehende Placet hat eine genauere Präcisirung erhalten. Auch in rein
innerlichen Angelegenheiten der katholischen Kirche darf nichts angeordnet
werden ohne Kenntniß der Regierung. Keine kirchliche Verordnung darf
Staatsgesetzen widersprechen. Dieser an die Spitze gestellte Satz wird weiter
dahin ausgeführt: was denselben widerspricht, ist als nicht vorhanden (rechts-
ungültig) anzusehen; im Zweifelsfall entscheidet die staatliche Behörde, ob
dieß der Fall sei. Alle über das streng kirchliche oder religiöse Gebiet über-
greifenden, gegen Leib, Vermögen, bürgerliche Ehre u. s. w. gerichteten
Zwangemittel der Kirche sind unstatthaft, ebenso solche, die wegen Befolgung
der Staatsgesetze verhängt werden. Mißbräuchliche Anwendung kirchlicher
Zwangsmittel ist von Amtswegen oder auf dießfällige Beschwerde zu ahn-
den. Für die Aunstellung katholischer Geistlichen ist eine bestimmte Bildung
als Vorbedingung gestellt. Nur Deutsche und auf deutschen Lehranstalten
Vorgebildete sind anstellbar. Geistliche, welche die auf ihre Amtirung be-
züglichen Gesetze verletzen, also z. B. Anordnungen ohne das erforderliche
Placet treffen, oder Zwangsmittel, ungesetzlicherweise verhängen, müssen auf
Erfordern der Staatsregierung entlassen werden; weigert sich die obrigkeit-
liche Behörde dessen, so tritt Entziehung des Gehaltes und Anullirung aller
staatlichen Wirkungen der geistlichen Functionen ein. Jede geistliche Gerichts-
barkeit außerhalb des Landes ist ausgeschlossen. Das kirchliche Vermögen
unterliegt der Staatsaussicht. Orden und ordensähnliche Bruderschaften sin
verboten. Auch als Einzelner darf ein Ordensangehöriger nicht im Land
seine Thätigkeit als solcher üben. Gegen Verletzung dieses Gesetzes sind Geld-
und andere Strafen angedroht.
31. März. (Baden.) II. Kammer: genehmigt die im Bud-
get von der Regierung auf 18,000 Mark erhöhte Forderung für
die kirchlichen Bedürfnisse der Altkatholiken ohne Debatte gegen die
Stimmen der Ultramontanen und der Democraten.
1. April. (Deutsches Reich.) Das Gesundheitsamt für das
deutsche Reich tritt in Berlin in Wirksamkeit. Dasselbe soll nach
der dem Etat beigefügten Denkschrift dem Reichskanzleramte un-
mittelbar untergeordnet sein und einen lediglich berathenden Charac=
ter tragen. Von der weiter angeregten Herbeiführung einer reichs-
gesetzlichen Regelung der öffentlichen Gesundheitspflege ist z. Z. noch
abgesehen worden.
1. April. (Preußen.) Das Domcapitel Münster wird von
der Regierung zur Wahl eines Bisthumsverwesers für den durch
den kgl. Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten abgesetzten Bischof
aufgefordert; das Kirchenvermögen wird vorläufig in staatlichen Ge-