192 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Ende October.)
b. Es ist ein von Seminardirector Leutz ausgearbeiteler Entwurf genehmigt,
welcher eine sorgfältig getroffene Auswahl von biblischen Erzählungen in
allgemein verständlicher Darstellung, nebst geeigneten Bildern, enthält. c. Es
soll eine Sammlung von ungefähr 150 der elassischen evangelischen Kirchen-
lieder, die in allen deutschen Landeskirchen Bürgerrecht haben, in möglichem
Einvernehmen mit den übrigen Kirchenregierungen hergestellt werden, um
den Weg zu einem gemeinsamen deutschen evangelischen Kirchengesangbuch
anzubahnen. d. Das sog. Apostolicum soll bei der Taufe nur refenrend
verlesen werden und jede Verpflichtung auf dasselbe wegfallen; dagegen wird
auf die biblische Formel (im Namen des Vaters, des Sohnes und des hei-
ligen Geistes) getauft. Verschiedene Anträge auf Aufhebung oder Beschrän-
kung der Geistlichenwahl durch die Gemeinden wurden verworfen, dem Be-
schlusse der Kammern über das Dotationsgesetz zugestimmt und schließlich
das Pfründeeinkommen der sog. Patronate in feste Besoldung verwandelt.
— October. (Baden.) Bei der Durchführung des Gesetzes
über die gemischten Schulen ergeben sich einige Schwierigkeiten. In
Orten nämlich, wo bisher auch jüdische Schulen bestanden und nun
mit den protestantischen und katholischen gemischt werden, verwahrt
sich der größte Theil der Bevölkerung gegen die Anstellung eines jüdi-
schen Lehrers und wird die Behörde, um öffentliche Unruhen zu ver-
meiden, öfters genöthigt, die jüdischen Lehrer zu entfernen.
— October. (Hessen.) Die Bewegung in der protestantischen
Kirche Hessens scheint den Character eines Abbröckelungsprocesses
annehmen zu wollen.
In der Provinz Starkenburg, namentlich aber in Rheinhessen, hat
das zugeknöpfte Verhalten der oberen Kirchenbehörde der evangelischen Lan-
destirche die Bewegung auf's neue in Fluß gebracht; die Massenaustritte
haben begonnen, weitere sind in Aussicht gestellt, und eine förmliche Organi-
sation zur Leitung der Bewegung ist angebahnt. Am entschiedensten tritt
diese in der Gegend von Worms auf, wo bereits eine Anzahl Gemeinden
ihre Erklärung formulirt und in Umlauf gesetzt hat. Da aber die ver-
fassungsmäßige Gewissensfreiheit bisher nur auf „anerkannte christliche Con-
sessionen“ beschränkt ist und die durch das Edict vom 6. März und das
Gesetz von 2. August 1848 gestaltete freie Ausübung aller religiösen Culte
noch in den Rahmen einer Verordnung, der vom 23. Februar 1850, ge-
zwängt bleibt, welche die Nothwendigkeit, sich an eine bestehende Religions-
gesellschaft’ anzuschließen. für jeden Hessen obligatorisch macht, so müssen
auch die evangelischen Dissidenten ihre kirchliche Freiheit in einer bestimmten
Form suchen. Sie haben hiezu die Bezeichnung „Freie Protestanten" ge-
wählt. Die neue Gemeinde soll auf der Lehre Christi, in ihrer ursprüng-
lichen, nicht durch geistliche Anmahung, Eigennutz und Herrschsucht entstell-
ten Reinheit beruhen und ihr Gottesdienst hauptsächlich in religiösen Vor-
trägen gewählter Gemeindevorsteher bestehen. Schon steht eine ziemliche
Anzahl Gemeinden bereit, die Erklärung zu unterzeichnen, einige haben sie
bereits untrzeichnet. und der Beginn des Massenaustritts aus der unirten
Gemeinschaft ist Thatsache. Eine Eindammung der Bewegung durch endliche
Bewilligung der Forderungen, dem Laienelement in der Landessynode größe-
ren Einfluß einzuräumen und die finanzielle Verwaltung der Kirche, sowie
die Regelung des Pfründenwesens nach billigen Rücksichten anzubahnen, ist
jetzt kaum noch zu erwarten.