200 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 15—18.)
ein geradezu schroffer. Diese Punkte liegen gar nicht in der neuen
Concursordnung, auch nicht im Civilproceß, über welche eine Einig-
ung theils schon erfolgt, theils ohne alle Schwierigkeit zu erzielen
ist, mehr dagegen im Strafproceß (namentlich, aber auch wesentlich
indeß doch nur im Preßzeugnißzwang), am meisten im Gerichtsver-
fassungsgesetz. In dieser zweiten Lesung geht bei allen Punkten, in
welchen der Reichstag gegen die Forderungen des Bundesraths auf
den Anträgen der Commission beharrt, die nationalliberale Fraction
bei der Abstimmung mit der Fortschrittspartei Hand in Hand.
15. November. (Mecklenburg.) Eröffnung des Landtages
in Malchin. Die Regierungen machen demselben bezüglich der Re-
sorm der Verfassung wiederum keinerlei Proposition.
17. November. (Bayern.) Die ultramontane Partei setzt
ihren Willen bezüglich der vom Könige neu ernannten (gemäßigten)
Bischöfe von Speyer und Würzburg durch. Der zum Bischof von
Speyer ernannte Domdekan Enzler wird veranlaßt, felbst um seine
Entlassung zu bitten und der König entspricht der Bitte, indem er
die Ernennung außer Wirksamkeit setzt. Dem zum Bischof von
Würzburg ernannten P. Ambrosius Käs aber verweigert sein Oberer
in Rom die Erlaubniß zur Annahme seiner Ernennung, wodurch
auch diese dahinfällt.
18. November. (Hessen.) Der Bruch eines nicht unbedeu-
tenden Theils der hessischen Protestanten mit der Landeskirche wird
durch eine Delegirtenverfammlung in Worms vollzogen, die eine
„Religionsgemeinschaft freier Protestanten“ zu gründen beschließt.
Die Austritte aus der Landeskirche werden zahlreicher und umfassen
bereits ganze Gemeinden (bis jetzt indeß doch nur zwei) einschließlich
der Kirchenvorstände. Die Anerkennung der neuen Gemeinschaft
kann, da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, von der Re-
gierung nicht verweigert werden.
Es ist nicht zu verkennen, daß die Dissidien von den Leitern der Be-
wegung mit einer solchen Klarheit und Entschiedenheit erfaßt und festgestellt
worden sind, wie man sie aus Laienkreisen kaum erwarten konnte. „Es wäre
eine sehr irrthümliche Auffassung, wenn man die Bewegung eine „Kirchen-
steuerbewegung“ nennen wollte“, sagt eine Erklärung, „wie es mindestens
ebenso unrichtig wäre, die Reformalion eine Ablaß-= Bewegung zu nennen.
Wie die Reformation auf der höheren sittlichen Erkenntniß und dem er-
starkten Nationalgefühl Rom gegenüber beruhte, so liegt unserer Bewegung
das höhere religiöse und nationale Bewußtsein zu Grunde. Diesem sollte
die lehte (hessische) Synode Rechnung tragen, sie sollte die sittliche Entwicklung
in den Gemeinden fördern, um in dem großen Entwicklungskampfe, den das
deutsche Reich mit dem alten Kirchenthum führt, die Landeskirche der Ver-