Full text: Europäischer Geschichtskalender. Siebzehnter Jahrgang. 1876. (17)

576 Mebersicht der polilischen Eutwiclung bes Jahres 1876. 
eingeräumt werde, in gleicher Weise wie die Muselmänner in Waffen 
zu bleiben, was beides für die Pforte allerdings nicht unbedenklich 
sein konnte. Endlich wurde zum Schluß sehr bestimmt ausgespro- 
chen, daß „wenn auch diese Frist ohne Resultat verstreichen sollte, 
die drei kaiserlichen Höfe nach gemeinsamer Verständigung ihrem 
diplomatischen Vorgehen wirksamere Maßregeln hinzuzufügen haben 
würden, wie sie im Interesse des Allgemeinen und zur Vermeidung 
des Weitergreifens der Empörung geboten erscheinen könnten."“ Eine 
Andeutung, was unter diesen weiteren „wirksamen Maßregeln“ von 
den drei Mächten verstanden werden möchte, fand sich in dem Acten- 
stücke nicht. So wie es war, follte es indeß den andern drei Groß- 
mächten mitgetheilt und sollten dieselben zum Beitritt und zur Un- 
terstützung desselben in Constantinopel eingeladen werden. Es scheint, 
daß die drei Ostmächte, auch Oesterreich fest darauf zählten, daß 
dieß, wie bei der Note Andrassy vom 31. December 1875, keinen 
Anstand haben werde. In der That erklärten sich auch Frankreich 
und Italien sofort und ohne irgend welches Bedenken damit einver- 
standen. England jedoch nahm sich Bedenkzeit, um seinen Beitritt 
dießmal schließlich abzulehnen. 
Thron- Dieser Schritt Englands war unter den obwaltenden Umstän- 
orns den von den weitesttragenden Folgen. Denn inzwischen war in 
Sultans Constantinopel selbst eine tiefgreifende Veränderung und zwar allem 
r*rii Anschein nach nicht ohne das Vorwissen und die Unterstützung Eng- 
½ lands eingetreten. Die oben angedeutete, offenbar näher und näher 
rückende Gefahr hatte endlich die öffentliche Meinung selbst der 
trägen Türkei aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. Es ist geradezu undenkbar, 
daß nicht längst bei allen Einsichtigen eine dumpfe Gährung über 
die Regierungsweise des Sultans sollte Platz gegriffen haben. 
Abdul Aziz, obwohl nicht ohne Intelligenz, hatte die guten Vor- 
sätze seiner ersten Regierungsjahre längst vergessen und regierte nach 
Willkür nicht nur, sondern geradezu nach Laune: seine Minister 
und die höchsten Beamten der Provinzen wechselte er so zu sagen 
alle 14 Tage, ohne daß dafür zureichende Gründe, oft überhaupt 
nur ein Grund erkannt werden mochte, und seine Verschwendung für 
den Hof kannte keine Gränzen, so daß er Schulden auf Schulden 
häufte, bis der Staat bankerott war, während er im Uebrigen die 
Dinge achtlos gehen ließ, wie sie konnten und mochten. Nur Ein 
Gedanke scheint ihn beharrlich beschäfligt zu haben und zog sich wie 
ein rother Faden durch seine ganze Regierungszeit: er wünschte die
	        
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