581 Meberlicht der politisczen Eutwiclung des Zahres 1876.
Oesterreich-Ungarn bereitete, macht es beiden Reichshälften klar, daß
ein Ausweg gefunden und ein neuer Ausgleich geschlossen werden
müsse, wenn die Monarchie diesen Gefahren gewachsen sein soll.
9 Viel weniger, unmittelbar eigentlich gar nicht, war Deutsch-
Teich. land von der orientalischen Frage berührt. Seine Aufgabe konnte
im Grunde nur darin bestehen, für eine Besserung in den Zuständen
der türkischen Rajahs mitzuwirken, namentlich aber seine Sorge
darauf zu richten, daß die widerstreitenden Interessen Rußlands und
Oesterreichs nicht etwa zu Differenzen und Conflicten führten, und
so nach Kräften die Erhaltung des Friedens zu wahren. Bis zu
den Maiereignissen in Konstantinopel gelang ihm das auch voll-
ständig und es war daher um so mehr in der Lage, alle seine Kräfte
seinen eigenen Aufgaben im Innern zu widmen, was um so wün-
schenswerther war, als der Ausbau des neuen deutschen Reichs noch
lange nicht vollendet ist und das Zusammenwachsen und der gegen-
seitige Ausgleich der Interessen der verschiedenen Glieder des Reichs
zu einem mehr oder weniger organischen Ganzen selbstverständlich
eine ruhige, wo möglich nicht durch auswärtige Angelegenheiten ge-
störte Entwicklung gebieterisch erfordern wird. Wie sehr das der
Fall ist, trat gleich zu Anfange des Jahres 1876 recht deutlich zu
Tage. Nachdem zwei Versuche, ein allgemeines Eisenbahngesetz zu
Stande zu bringen, welches sämmtliche Staats= und Privatbahnen
Deutschlands der Oberaussicht des Reichs in wirksamer Weise unter-
stellt hätte, an dem Widerstande der Mittelstaaten, namentlich Sachsens,
gescheitert waren, hatte der Reichskanzler gegen Ende des vorhergehen-
den Jahres die Idee hingeworfen, sämmtliche Bahnen allmälig für
das Reich zu erwerben. Damit stach er aber erst recht in ein Wes-
pennest. Waren die Mittelstaaten schon wenig geneigt, sich auch nur
ein mehr oder weniger strammes Eisenbahngesetz gefallen zu lassen,
so konnten sie sich natürlich noch weniger mit dem Gedanken be-
freunden, ihre Staatsbahnen ganz dem Reiche zu überlassen und da-
mit neuerdings auf ein werthvolles Stück ihrer früheren Souveränetät
zu verzichten und sahen sich darin auch von ihren Volksvertretungen
unterstützt. Die Frage kam schon in den ersten Monaten des Jahres
1876 in den zweiten Kammern von Bayern, Sachsen und Württem-
berg zur Sprache und die Aufnahme, welche die betreffenden, ent-
schieden ablehnenden Erklärungen der Regierungen in denselben fanden,
ließ sofort keinen Zweifel darüber, daß die Idee des Reichskanzlers
jedenfalls einem mannigfaltigen, lebhaften und zähen Widerstande