Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 1—3.) 89
Conservativen (Agrarier, Schutzzöllner ect.) gegen den Finanzminister
Camphausen wird von demselben in der Frage der Belegung der
für die Provingialfonds bestimmten Gelder und in der Frage der
Seehandlung siegreich als vollständig unbegründet zurückgeschlagen.
Die Angriffe gegen den Finanzminister Camphausen: die, beginnend
mit Artikeln der Kreuzzeitung über die „Aera Bleichröder“, seit mehr als
einem halben Jahr in organisirter, auf einen festen Plan und auf leitende
Personen hindeutender Weise ausgeführt wurden, haben in diesen beiden
Sitzungen des Abgeordnetenhaufes ihr Ende in der vollständigen Niederlage
der Gegner gesunden. Was man in dem Lager derselben — der Agrarier,
Schutzzöllner und der Dirigenten der Cisenbahnzeilung eigentlich vor hat,
das hatte Herr v. Below in der betreffenden Gruppe des Abgeordnetenhauses
bei den Verhandlungen über die Belegung der Provinrialfonds verrathen.
„Es muß“, meinte er, „rücksichtslos gegen den Finanzminister vorgegangen
werden, wie 1873 gegen den Grasen Itzenplitz“. Er vergaß nur, daß er
für dieses Vorgehen statt des thatsächlichen Materials, welches damals gegen
die Ausübung des Eisenbahnconcessionsrechts dem Landtage vorgelegt wurde,
als Unterlage nichts weiter hatle als die unbestimmten Gerüchte und Ver-
dächtgungen einzelner Zeitungen. In den fünf Wochen, welche seitdem ver-
flossen sind, ist nun an Stelle dieser Verdächtigungen der klare Thatbestand
für alle Welt sichtbar herausgetreten. „Die Weise aber, wie die wirthschaft-
liche und politische Reaction sich bei dieser Gelegenheit durch ihre Manöver
compromitirte, hat alle Erwartungen übertroffen.“
3. März. (Bayern.) II. Kammer: der Führer der ultra-
montanen Partei, Jörg, verliest eine Interpellation betr. die Vor-
lage eines neuen Landtagswahlgesetzes,
erinnert an das Versprechen der Thronrede vom 17. Januar 1870,
führt aus, daß wegen Aufhebung des Ansäßigkeitsgesetzes von 1834 seit 1868
kein Landtag volle Rechtsgiltigkeit gehabt habe, begeichnet die Befugniß des Mi-
nisteriuims zur Wahlkreiseintheilung als ein privilegium odiosum, erklärt,
wegen voraussichtlichen Mangels bedeutender Vorlagen sei der gegenwärtige
Zeitpunkt für eine dießbezügliche Vorlage angemessen, und fragt an, ob die
Regierung gewillt sei, ein neues Wahlgesetz vorzulegen. Der Minister des
Innern bestreitet die Wirksamkeit der 2 Aufhebung des Ansässigkeitsgesetzes,
das übrigens in der Pfalz nie gegolten, auf die Rechtsgiltigkeit der Land-
tagswahlen hebt hervor, daß die Regierung seit 1870 zweimal den Versuch
gemacht und das letzte Wahlgesetz erst unmittelbar vor Schluß des Landtags
zurückgezogen habe, als jede Aussicht auf ein Zustandekommen geschwunden
bezweifelt unbedingt die Aenderung dieser Sachlage und erklärt deßhalb,
die Regierung beabsichtige nicht, dem Landtage einen Wahlgesetzentwurf vor-
zulegen.
Bei der darauf folgenden Bewilligung einer provisorischen
Steuererhebung erneuert der Abg. Freytag Namens der ultramon--
tanen Partei das von dieser im vorigen Jahr gelegentlich der Ant-
wortsadresse dem Ministerium Lutz-Pfretzschner ertheilte Mißtrauens-
votum, ohne indeß daran practische Anträge zu knüpfen, so daß die
provisorische Steuererhebung schließlich einstimmig bewilligt wird.
Abg. Freytag erklärt Namens der Clericalpatrioten, daß die Stel-