Metadata: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

Das deuische Reich und seine einzelnen Glieder. (August 15.) 129 
Beichsans die in ihren Geschäftskreis fallenden Ermittlungen vorzunehmen. 
# Reichsamt entscheidet in der Beseyung von fünf Mitgliedern, von 
¼ misesten drei zu den richterlichen Mitgliedern gehören müssen. Die 
Entscheidungen erfolgen nach freiem Ermessen und sind *—’e Im Uebrigen 
bestimmt das Reichsamt seine Geschäftsordnung selbständig 
Tie neue Vorlage enthält den directen Auftrag an diH Landescentral- 
bezw. Polizeibehörden: Vereine, Versammlungen und TDruckschriften, welche 
sozialdemokratischen, sogialistischen oder communistischen, auf Untergrabung 
der bestehenden Staats= oder Gesellschaftsordnung gerichteten Bestrebungen 
dienen, zu verbieten. Dadurch ist die frühere discretionäre Mitwirkung des 
Bundesraths bei Ausführung des Gesetzes und die Controle des Reichstags 
. zwei Bestimmungen, welche im Reichstag als sehr anstößig befunden 
wurden — böllig beseitigt. Dagegen soll als Recursinstang ein neues Reichs- 
amt für Vereinswesen und Presse errichtet werden. Das neue Amt ist eine 
#Ant Ausnahmegerichtsho, ganz entsprechend dem Charakter dieses Gesetzes. 
Diesen vorausgeseht, ist der jetzt eingeschlagene Weg dem früheren, der 
wenigstens der Form nach den Schein der Willtür hatte, entschieden vorzu- 
ziehen. Die Erweiterung des Gejehentwurfs, der anstatt der früheren 5, jeßzt 
24 Paragraphen hat, ist herbeigeführt durch eine Reihe von Bestimmungen, 
welche sich auf Einsammeln von Beiträgen für verbotene Vereine, Mitglied= 
schaft, Verbreitung verbotener Druckschriften u. s. w. beziehen. Endlich ent- 
hält § 23 noch ein zweites Ausnahmegeseh für Bezirke oder Ortschaften, in 
welchen die siosialdemokratischen Bestrebungen die öffentliche Sicherheit be- 
drohen. In diesen kann auf Antrag der Landescentralbehörde, also der 
Regierung, mit Genehmigung des Bundesraths eine generelle Beschränkung 
des Versammlungsrechts, des Straßenverkaufs von Truckschrijten, des Waffen- 
tragens und die Answeisung arbeitsloser Personen, vobte ohne Unterhalt 
und nicht ortsangehörig sind, erfolgen (der sog. kleine Belagerungszustand). 
Motive sind der dem Bundesrath zugegangenen Vorlage vorerst nicht bei- 
gegeben. 
15. August. (Deutsches Reich.) Die Frage, welche Stellung 
das seit dem Rücktritt des Hrn. Maybach in den preußischen Staats- 
dienst verwaiste Reichseisenbahnamt in Zukunft einzunehmen habe, 
ist erledigt. 
Fürst Bismarck bat sich auf diesem Gebiete des Auswegs bedient, 
den er im Reichstag bei der Berathung des Stellvertretungsgesehes als das 
geeignete Mittel bezeichnete, um zwischen der Neichsfinanzverwaltung und dem 
preußischen Finanzministerium eine Art Solidarität herzustellen. Der Unter- 
staatssecretär im Reichsfinanzamt, meinte der Reichslangler, konne angewiesen 
werden, vor Einholung der Zustimmung des Meichskanglers sich der Zu- 
timmung des preußischen Finanzministers zu versichern. In ähnlicher Weise 
st nunmehr das Reichseisenbahnamt, dessen Leitung provisorisch dem Geh. 
Oberregierungsrath Dr. Körte übertragen ist, angewiesen worden, vor Ein- 
holung der Zustimmung des Neichskanglers oder seines Stellvertreters sich 
der Zustimmung des preußischen Handelsministers, natürlich in dessen Eigen- 
schaft als Chef der preußischen Eisenbahnverwaltung, zu versichern und dem- 
nach dessen Gegenzeichuung einzuholen. Dem Chef der preußischen Eisenbahn- 
verwaltung ist damit der Einfluß auf die Maßnahmen des R#schnsenbunamt3 
gesichert, welcher für die Wirksamkeit des Reichseisenbahnamts unerläßlich 
ist, wie Herr Maybach während seiner Amtsführung als Präsident des Reichs- 
eisenbahnamts allerdings zur Genüge erfahren hat. 
Schulihes“, Europ. Geschichtskalender. XIX. Me. 9 
  
 
	        
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