Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

Das deuische Reich und seine einzelurn Glieder. (Oct. 1—2.) 151 
hat, als sehr nebensächlich. Die Ausdehnung dieser V zerhandlungen kommt 
ansschließüch auf Rechnung der nationalliberalen Portei. Der Standpunkt 
der Gruppen rechts und linls von den Nalionalliberalen war in der Com- 
mission ein ganz bestimmt gegebener. Die nationalliberale Partei aber war 
in sich uneins; sie erschien fast bei jeder Abstimmung gespalten. Alle Reden 
der Conservativen einerseits, der Fortschrittspartei und des Centrums anderer- 
seits hatten daher nur den Zweck, einen ausschlaggebenden Theil. der Natio- 
nalliberalen nach Rechts bezw. nach Links hinüberzuziehen. Die national- 
liberale Partei im Ganzen war von vornherein unter Aufgebung des im 
Mai eingenommenen Standpunktes auf den Boden des Regierungsentwurfs 
getreten. Aber manche ihrer Mitglieder wollten wenigstens bei den Einzel- 
bestimmungen über die Verfolgungsmethode gegen die Sozialisten markiren, 
daß sie noch einen selbständigen Standpunkt einnähmen und keineswegs ge- 
sonnen seien, in die große Partei Bismarck sans phirase überzugehen. Dieses 
selbständige Auftreten an sich, weniger der Gegenstand, um den es sich dabei 
handelt, scheint beim Kangler jene Mißstimmung hervorgebracht zu haben, 
welche der bekannte Artikel der „Nordd. Allg. Ztg." gegen Lasker reflektirke. 
Die Wirkung dieses Artikels auf die Natiohlalliheralen in der Commission 
war nicht zu verkennen. Vor jenem Artikel erschien Lasker in der Commis- 
sion als ihr Führer. Nach jenem Artikel wurden auch die nationalliberalen 
Amendements, mit welchen Lasker von vornherein einverstanden war, nicht 
mehr von Lasker, sondern von anderen Fraktiansmitglichern eingebracht. 
Schwerer als das äußerliche Zurücktreten Lasker's wiegt aber der Umstand, 
daß er jeht mehr und mehr bei den Abstimmungen ifolirt blieb. Bennigsen 
gab mit den übrigen Fraklionsgenossen (Stauffenberg war zuletzt verhindert) 
vielfach gegen ihn nach Rechts den Ausschlag. Die anderen Parteien hatten 
zuerst angenommen, daß der linke Flügel der Nationalliberalen auf den 
Boden des Ausnahmegesetzes nur getreten sei, nachdem er von der übrigen 
Partei bestimmte Zusicherung erhalten, daß unter allen Umständen gewisse 
Kautelen und Einschränkungen gemeinschaftlich festzuhalten seien. Der Ver- 
lauf der Commissionsverhandlungen hat diese Voraussetzungen gestört. Lasker= 
Stauffenberg wurden in der wichtigen Frage der obersten Beschwerdeinstan) 
von den Fraktionsgenossen im Stiche gelassen; die Handhabung des Aus- 
nahmegesetzes wurde einem Ausrahimegeicht unterstellk. Damit hat sich der 
linke Flügel in die denkbar ungünstigste taktische Positivn gebracht. Lasker 
konnte dem Gesenz, wie es aus der Commission hervorging, im Gegensatz zu 
seinen Fraktionsgenossen nicht zustimmen; er hat aber auch nicht gegen das 
Gesetz gestimmt, in welchem er schon so viel Bedenkliches annehmbar erklärt 
halte. An und für sich liegen im Plenum die Chancen für Lasler aller- 
dings günstiger als in der Commission. Dort waren die 38 Stimmen der 
Polen, Elsässer und Sozialdemokraten in Folge der bekannten Vorgänge bei 
den Wahlen durch Gneist vertreten; zudem sehlte in der Commission zum 
Schluß Stauffenberg. Aber immerhin bedarf Lasler im Plenum aus den 
Nationalliberalen 25 Stimmen, um seinen Standpunkt zur Geltung zu 
bringen. Wird er diese jinden: Wird er die in der Commission verlorenen 
Positionen wieder zu erringen suchen, oder wird er das, was er in der Com- 
mission für unannehmbar erklärte, im Plenum, wenn auch erst bei der dritten 
Lesung, für annehmbar erachten?“ 
1. October. (Preußen.) Trotz der Unterhandlungen mit Nom 
und dem neuen Papste geht die Ausführung der Maigesetze ihren 
gemessenen Weg weiter. Die Aufhebung der klösterlichen Nieder- 
lassungen mit Ausnahme der ausschließlich der Krankenpflege ge-
	        
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