Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

162 Dos beulsche Reich und seine einjelnen Glieder. (Oct. 9—10.) 
er daran, daß nach der Synodal-Ordnung den Synoden ausdrücklich unter- 
sagt ist, in Bekennknißfragen zu entscheiden. Das Aufgeben jeglichen kirch- 
lichen Verbandes würde uns schwer schädigen und nur unsern Gegnern nüctzeen. 
Hieruf werden die folgenden Thesen nebst einer Resolution und einer 
Erklärung einmüthig gebilligt: „Thesen: I. Die Grenzen der kirchlichen 
Lehrfreiheit werden bestimmt: 1) durch die Aufgabe des Pfarramts das 
Evangelinm Jesn der christlichen Gemeinde zu verkünd igen; 2) durch den 
Grundsatz unserer evangelischen Kirche, daß das Evangelium Jein allein in 
der heiligen Schrift sicher bezeugt ist. II. Die geschichtlichen Bekenntnisse 
der alten Kirche sowie der Resormation sind Zeugnisse der christlichen Lehre 
aus der Erkenntniß ihrer Zeit, daher ehrwürdige Dentmäler der geschicht- 
lichen Entwicklung der Rirche, aber nicht verpflichtende Normen für den 
Glauben der Gegenwart. III. Protestantische Synoden haben nicht die Be- 
fugniß, die durch die Reformation gelegten Grundlagen der Lehrfreiheit ab- 
zmändern. Jeder Versuch, nach dreihnndertjähriger Entwicklung unserer epan- 
gelischen Kirche durch Mehrheitsbeschlüsse einen Vekeuntuisßwang. auszwich ten, 
würde voraussichtlich Kirche und Gemeinden zerspreugen. . Die Ausübung 
des Aussichtsrechts in den bezeichneten Grenzen gebührt Aurhiche Oranuen- 
In Sachen der Lehre steht den Landesherren eine Entscheidung nicht 3 
Die Lehrer der theologischen Wissenschaft unterstehen der lirchlichen Ansivi 
nicht. V. Die zur Ausübung des Aufsichtsrechts berufenen kirchlichen Or- 
gane müssen die Gleichberechtigung der verschiedenen auf, dem Voden des 
Evangeliums erwachsenen Nichtungen offen auerkennen und auch ihrerseits 
die Einigkeit im Geist zwischen denselben pflegen. Es ist daher ein Miß- 
brauch, wenn mit dem Buchstaben der Bekenntnisse über Glanben und Ge- 
wissen gerichtet, das freie Wahlrecht der Gemeinde verkümmert und da wo 
Geistliche und Gemeinde-Organe einig sind, der Friede gestört wird. 
Resoluntion: Indem der elfte deutsche Protestantentag zu folerdeime zu 
dem wesentlichen Inhalt der über die Lehrfreiheit und das kirchliche Ge- 
meinderecht vorgelegten Säße seine Zustimmung erklärt, erneuert er seine auf 
den Protestantentagen zu Eisenach (1835), Verlin (1 8690 Darmstadt (1870) 
und Osnabrück (1872) gefaßten Beschlüsse über die Nothwendigkeit und die 
Schranken der Lehrfreiheit. — Erklärung: Der Protestantenverein verwahrt 
sich aufs neue gegen den Vorwurf, daß er Lehrwillkür in der evangelischen 
Kirche einzuführen suche. Er fordert vielmehr, daß ein evangelisches Kirchen- 
regiment alle diejenigen Krte zum Dienst an der Kirche sammle, welche 
auf dem Grunde des Evangeliums Jefu und im Einklang mit den Grund- 
säben der Reformation die Gottesfurcht in unserem Volke wecken und leben- 
dig erhalten wollen. Während diese Forderung in kleineren deutschen Lau- 
deskirchen von den Kirchenregierungen anerkannt ist, gehen von Kirchenbehör. 
den des größten deutschen Staates bedauerliche Maßnahmen aus, welche d 
junserer Kirche zu Gebote stehenden Kräfte rstreuen und schwächen, statt # 
Mseremenynschlie, en und zu vermehren. Daß die kaum verfassungsmäßig 
sestgestellten Gemeinderechte durch Vorgänge wie in der Jakobi-Gemeinde zu 
Berlin thatsächlich wieder aufgehoben werden, muß in den Gemeinden Un- 
muth und Erbitterung erregen, während Erlasse des Vonbsgelchen Oberkirchen- 
raths mit eigenmächtigen Bestimmungen über die Grenzen der Lehrfreiheit auf 
viele Geistliche einen unberechtigten Gewissensdruck legen und tüchtige Kräfte 
vom geistlichen Stande zurückschrecken. Der Protestankenverein bittet jeden 
deutschen evangelischen Christen, weß Standes er sei, vor Gott zu erwägen, 
daß wir nur durch ein einiges, von Vertrauen, Geduld und Liebe getragenes 
Zusammenfassen der religiösen Kraft des deutschen Protesiontismus stark genng 
werden, um unser Volk von den Abwegen eines gottentfremdeten Materialis= 
mus zurückzuhalten und die Angriffe der römischen Kirche zurückzuweisen.“ 
 
	        
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