Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dec. 5 —7.) 193
Festgewühl ist dabei ungeheuer, die Stimmung begeistert, der Flaggenschmuck
emein. Soweit es sein hohes Alter zuläßt, ist der Kaiser vollkommen
* hergestellt. Im Empfangssalon auf dem VBahnhofe äußert er zu den
ort Versammelten: „Mit gemischten Gefühlen kehre er in die Hauptstadt
hertn in die Freude über seinen Empfang, über die Zeichen der Hingebung
an ihn und sein Haus mische sich der Schmerz um das, was er erdulden
mußte. Sein Herz habe mehr geblutet als seine Wunden. Er wolle aber
gern alles ertragen, frendig sein Blut vergossen haben, wenn er überzeugt
sein dürfte, daß das zum Wohle des Vaterlandes, zum Heile jür die irre-
geleiteten Theile seines Volkes gereichen könnte.“ Der RKaiser sieht frisch und
kräftig aus; den rechten Arm trägt er in einer Binde. Nach der Ankunft
im Palast erscheint er mit der Kaiserin auf dem Balkon, um sich dem jubeln-
den Publikum zu zeigen. Darauf folgt das Defilc eines großartigen Zuges
der nurhrationen und Verbände. Am Abend erglängt die Stadt in allge-
meiner Beleuchtun
Der Kalsser übernimmt sofort wieder die ganze Last der Ne-
gierung. Dem Kronprinzen dankt er durch einen Erlaß für die in
seinem Sinne erfolgreich geführte Stellvertretung während der Dauer
seiner Krankheit.
5. December. (Preußen.) Abg.-Haus: Vudgetcommission:
Der Handelsminister Maybach gibt derselben eine längere Erklärung
über seine demnächst einzuschlagende Eisenbahnpolitik. Es geht aus
derselben hervor, daß die preußische Staatsregierung der deutschen
Reichsverwaltung die preußischen Staatsbahnen wirklich zum Kauf
angeboten, bis jetzt aber auf diese Offerte noch keine Antwort er-
halten hat; daß übrigens die Reichsregierung ihre Bestrebungen
nach Einheit in der Verwaltung der deutschen Eisenbahnen noch
nicht aufgegeben habe, wie schon daraus hervorgehe, daß bereits der
Entwurf für ein deutsches Eisenbahngesetz im Reichseisenbahnamt
ansgearbeitet sei.
December. (Preußen.) Veim Empfang des Magistrats
und der Stadtverordneten von Verlin sagt der Kaiser an die über-
reichte Glückwunschadresse anknüpfend:
„Allerdings habe ich aus meinem Empfang, aus den leuchtenden
Augen der mich empfangenden Bevölkerung, gelesen, daß die Freude über
meine Genesung und Nückkehr eine innige, tief aus dem Herzen kommende
ist. Die Empsfangs. zurüstungen übersteigen vielleicht das von mir gewünschte
Maß; man sagte mir aber schon vorgeslern, daß die allgemeine Freude sich
nicht zurückhalten ließ. Und so dante ich Ihnen herzlich für den meinem
Herzen wohlthnenden Empfang und bitte meinen Dank überall zu verbreiten.
Es gelang Ihnen, den tief schmerglichen Eindruck der letzten Ereiguisse, wenn
auch nicht ganz, doch zum Theil zu verwischen. Die Vorsehung ließ zu,
daß mich so Schweres betraf. In meiner Errettung fand ich die Mahnung,
mich zu prüfen, ob ich meinen Lebenslauf so eingerichtet, meine Pflichten so
erfüllt, daß ich werth war, gerektet zu werden. Wenn ich die kurze mir
noch gugemessene Zeit ungetrübt verlebe, so ist es der Wille der Vorsehung;
wenn es anders kommen sollte, so ist es auch der Wille der Vorsehung.
„
Schulihe### Gurop. Geschichtslalender. XIX. Bd#. 13
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