Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

Da deulsche Beich und seinr eintelnen Glieder. (Dec. 31.) 217 
weisen die Ereignisse dieses Jahres namentlich in Berlin. Nach Schluß der 
Generaljynode entschuldiglen sich die Hofprediger bei dem Kaiser, daß sie 
gegen die von ihm vorgelegte Kirchenverfassung gestimmt hätten; seitdem ist 
Präsident Herrmann gegaugen wegen der ihm bereileten Hindernisse, seine 
Gegner aber sollen in das höchste Kirchenamt, welches zum Wächter über 
die neue Ordnung geseßt ist, einrücken. Es ist das sicher mehr als eine 
Personenfrage, wenn man sich erinnert, daß dem Cultusminister die Contra- 
signatur dieser Anstellungen von dem Laudtage ausdrücklich gewahrt worden 
ist, um die Durchführung der neuen Gesetze unter seine spezielle Verantwort- 
lichleit zu stellen. Zweitens bandelt es sich bei der Ernennung von zwei 
anßerordentlichen Mitgliedern des Oberkirchenraths um eine Veränderung des 
Stimmenverhältnisses in dem Collegium. Während der Oberkirchenrath seit 1850 
zwar bestanden hat, früher aber nur als provisorische Behörde, hat er durch 
das Geset vom 3. Juni 1876 erst die erste Anerkennung des Staates ge- 
sunden. Die Zahl seiner Mitglieder ist in diesem Gesehe zwar nicht fixirt 
worden, wohl aber ist ausgesprochen, daß die collegiale Verfassung nur durch 
ein Staatsgesey verändert werden kann, im Uebrigen aber anerkannt, daß 
Veränderungen dieser Behörde als Etatsfrage die Mitwirkung der Landes- 
vertretung erfordern. In dem Jahre 1876, unmittetbar vor Erlaß der 
Synodalordnung, bestand der Oberkirchenrath aus einem Präsidenlen und 
sechs Räthen, von denen drei geistliche Mitglieder im Nebenamt waren. In 
Folge der Synodalordnung ist die Zahl der Mitglieder von 7 auf 10 und 
zwar untker Mitwirkung der Landesvertretung erhöht worden in der Weise, 
daß noch ein geistlicher Bicepräsident und zwei Räthe hinzugefügt wurden, 
von denen einer den Präsidenten zu vertreten hat. In dieser durch das 
Etatsgeset bestimmten Zahl ist das Collegium complet, von einer Valanz 
ist nichts bekannt. Jetzt sollen noch zwei außerelaksmäßige Mitglieder, zwar 
ohne Gehalt, aber mit vollem Stimmrechte hinzugefügt werden: wird “ 
durch nicht das Stimmenverhaltuß innerhalb des Collegiums wesentlich ver- 
ändert? Denn da Beide Geistliche sind, so erlangen die geistlichen Muglikerr 
— sechs im Nebenamt in einem Collegium von überhaupt zwölf ein 
Uebergewichl, welches die Geistlichen nach der Oekonomie der ganzen Sy- 
nodalorduung nicht haben sollen. 
31I. December. (Deutsches Reich.) Die Reichsregierung 
kündigt die Handelsverträge mit Belgien und der Schweiy auf Ende 
des Jahres 1879, da dieselben der Aufrichtung eines antonomen 
deutschen Zolltarifs auf diesen Zeitpunkt im Wege ständen. Einige 
andere Handelsverträge, bei welchen nur eine halbjährige Kün- 
digungsfrist stattfindet, sollen erst später, aber dann gleichfalls ge- 
kündigt werden, um für die neue Finanz= und Schutgollpolitik des 
Reichskanglers freien Tisch zu machen. Die Folgen dieser funda- 
mentalen Wendung in den wirthschaftlichen Berhältnissen Deutsch- 
lands treten schon jetzt zu Tage. 
Zunächst geht der deutsche Handelstag einer Krisis, wo nicht 
seiner Auflösung entgegen. Die Freihändler befinden sich dort nach den 
Verhandlungen des letzten Handeletages in der Minoritäl, und die Spren- 
gung des Handelstages ist jüngst nur dadurch verhülel worden, daß bei den 
Wahlen zum bleibenden Auesschusse ein Compromiß zwischen beiden Seiten 
geschlossen wurde. Wollte damals die Mehrheit der Städte aus Opportuni- 
tätsgründen dem Vorgehen von Königsberg, Danzig, Elbing und
	        
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