Die Oesterreichisch-Ungarische Monarchie. (März 11.) 225
allgemein enropäischen Interessen auf das Entschiedenste einzutreten. Anderer-
seits kann die Regierung eines an den Ereignissen jo nahe betheiligten Reiches
auf diese Hoffnung allein nicht alle ihre Berechnungen bauen. Treu der
von allem Aufange her befolgten Politik, haben wir die Geltendmachung
unserer Rechte und Interessen bei der definitiven Gestaltung des Friedens
in Anspruch genommen. Dieser Politik entsprechend, hat es die Regierung
bisher vermieden, mit Ansprüchen an die Opferwilligkeit der Mo-
narchie hervorzutreten. Was ihr von mancher Seite vorgeworfen wurde,
daß sie nämlich so spät mit diesem Auspruch hervortrete das glaubt sie sich
als größtes Verdienst anrechnen zu können. Der Moment des Friedens-
schlusses war es, für welchen wir die Einflußnahme der Monarchse vorbe-
halten haben — für diesen Moment mußte auch die ganze Kraft der Mo-
narchie asgefport werden. Dieser Moment ist gekommen und die Regierung
zögert umsoweniger, von der hohen Delegation das Erforderliche zu ver-
langen, als sie sich bewußt ist, die finanzielle und ökonomische Kraft des
Reiches bisher in einer mit der änßersten Verantwortung verbundenen Wiise
geschont zu haben. Sie wendet sich heute an die Volksvertretung in dem
Gejühle ihrer Pflicht, die Interessen des Neiches gegen jede Ueberraschung
sicher zu stellen und sich nicht in dem Momente, wo jeder betheiligte Staat
in voller Rüstung erscheint, einzig und allein auf das Gewicht politischer
Argumente verlassen zu müssen. Sie kann den Schuß der österreichisch-
ungarischen Interessen weder irgend einer andern Macht überlassen, noch von
dem Willen anderer Staaten abhängig machen. Die Delegation wird gewiß
die Ueberzeugung theilen, daß in dem Augenblicke, wo sich eine Umgestaltung
aller Verhältnisse an unserer immediaten Grenze vollziehen soll, Oeslerreich-
Ungarn unmöglich weniger in der Lage sein kann, als das geringste der be-
theiligten Länder, sich vor Ueberraschung durch laits accomplis zu
schüten. Auch heute ist es keine Mobilisirung, die wir beanspruchen; es ist
beon die Möglichteit, im Falle der Nolh unverweilt das Greignete vorzu-
kehren. Es ist dieß teine Feindseligleit gegen irgend eine Macht ebenso-
wenig aber eine leere Demonstration. Es ist eine durch die Vorsicht ge-
botene Maßregel — die Vorbedingung, um unter den jebigen Verhältnissen
das Selbstbestimmungsrecht der Monarchie gegenüber allen Eventnalitäten
aufrecht zu erhalten. Es ist die Illustration desjenigen, was die Negierung
wiederholt als ihre Aufgabe betont hat: die enropäischen Rechte mit Europa,
die eigenen auf eigene Faust zu schügen. Es ist kein Bertrauensvotum,
welches ich für die Negierung verlange, es ist kein Eredit, welchen die Dele-
gationen dem gegenwärtigen Minister bewilligen, sondern ein Eredil, den sie
jeder Regierung geben müssen, von der sie erwarten, daß sie unter den
jetzigen Verhältnissen für die Wahrung der Interessen der Monarchie die
Bürgschaft übernehmen könne.“
1I. März. Oesterreichische Delegation: Budgetausschuß: Graf
Andrassy erklärt sich neuerdings über die bosnische Occupation.
Die „Reichsraths-Korr.“ bringt davon eine authentisch redigirte
offiziöse" Auallse, durch welche mancherlei Irrthümer richtig gestellt wer-
de en, die in die Berichte über jene Sitzung sich eingeschlichen hätten. Graf
Andrassy hob darnach hervor, daß eine Occupation oder Annexion Bosniens
und der Herzegowina nicht zu den Zielen der österreichischen Polilik ge-
höre, daß sie aber durch die Verhältuisse aufgedrängt werden könne,
wenn aus irgend einem Grunde eine befriedigende und dauernde Pacifitation
jener Grenzgebiete sich als unmöglich erweisen sollte, oder wenn diese Gebiete
fortgesetzt der Herd oder das Objelt füdslavischer Conspirationen und Aspi-
rationen werden sollten.
Schulthess, Curop. Geschichtrkalender. XIX. Bd. 15