Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

228 Die Oeslerreichisch--Ungarische Monarchie. (März 27 — Anfang April.) 
27. Märg. (Oesterreich.) Abg.-Haus: genehmigt die Ver- 
längerung des Ausgleichsprovisoriums auf weitere zwei Monate. 
Graf Coronini ergreift die Gelegenheit, in einer durch oratorische 
Vollendung wie durch patriotische Wärme gleich ausgezeichneten 
Rede die tiesen Gebrechen des Dualismus darzulegen und sich für 
einen gemäßigten Centralismus, selbst im Interesse Ungarns, aus- 
zusprechen. Die öffentliche Meinung diesseits der Leitha ist darüber 
einig, daß die Frage früher oder später zur Erörterung und Ent- 
scheidung kommen müsse und werde, daß es aber jetzt dazu noch 
nicht an der Zeit sei. 
30. Märg. (Oeslerreich: Böhmen.) Alt= und Jungczechen 
schließen wieder einmal einen Compromiß, welcher sich in einer Er- 
klärung über die Nichtbeschickung des Reichsraths manifestirt und 
für jene von Nieger, für diese von Sladkowsky unterzeichnet ist. 
Derselbe erklärt, 
„daß in Betreff unserer Anschauungen und Uebergeugungen über die 
Reichörathebeschickung unter uns keinerlei Divergenz bestehe, daß wir es viel- 
mehr in jedem Falle als eine patriotische, für jeden Böhmen gleich bindende 
Pflicht ansehen, in den Reichsrath nicht einzutreten, insolange nicht die 
Majorität unserer Landtags= und Reichsraths-Abgeordneten 
darin einen entschiedenen Vortbeil. unserer Nation erkennt. 
Ueberzeugt, daß die Grundsähe, die wir vertreten, die österreichische Monarchie 
nur kräftigen, keineswegs aber bedrohen können, erwarten wir mit Recht von 
allen, denen an der Erhaltung derselben gelegen ist, daß sie unsere auf Ge- 
rechtigkeil und rechtsgiltige Staatsacte basirten Ansprüche in ihren Schutz 
nehmen, auf welche gestützt wir zur Verständigung mit allen maßgebenden 
Factoren bereit bleiben in dem Bewaußtsein, daß, wie immer diese sich gegen 
uns verhalten mögen, wir keineswegs mit Besorgniß in die Zukunft zu 
blicken brauchen, als Söhne der großen flavischen Familie, die keines 
ihrer Glieder preisgeben wird. 
Anfang April. Zwischen Oesterreich-Ungarn und England 
scheint doch eine Art stillschweigender Entente zu Stande gekommen 
zu sein, nur daß Oesterreich nicht vorangehen will, sondern England 
gegen Rußland vorgehen läßt. Auch Deutschland hat wenigstens 
eine halbe Wendung gegen Rußland gemacht, indem es die Ueber- 
griffe Rußlands in dem Vertrage von St. Stefano anerkennt und 
dem befreundeten Nachbar im Osten die Nothwendigkeit von Con- 
cessionen an Oesterreich und England unverkennbar nahe legt. 
Anfang April. (Ungarn.) Reichstag: hat endlich die Budget- 
Debatte in Angriff genommen. Inzwischen rüften alle oppositionellen 
Parteigruppen zu einem Sturmlauf gegen die Regierung, die in 
Folge des mißlungenen Ausgleichs mit Oesterreich und Angesichts
	        
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