Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jau. 22. 43 
mung, wonach die Annahme von Lehrmittelunterstützung den Wahl- 
rechtsverlust bewirkt, zur Tagesordnung über. Die Regierung spricht 
sich energisch gegen die Anträge aus. 
Der Regierungsvertreter hebt hervor, daß die Anträge der Ultramon- 
tauen von der Voraussehung nicht vorhandener idealer Zustände ausgehen, 
gegenüber welchen sich die Regierung auf den realen Boden stellen müsse. 
Man könne vor den schönen Eigenschaflen des Volkes alle Achkung haben, 
daneben sich aber doch der Wahrheit ucht verschließen, daß sich unter dem 
VBolke Elemente befinden, welche der nöthigen politischen Bildung und Reife 
entbehren und deßhalb leicht zu umwälzenden Bestrebungen mißbraucht 
werden können. Der Staat müsse fest gegründet sein und bedürse einer 
großen Stetigkeit in seiner Entwicklung, wofür das indirelte Wahlsysiem 
eine Garantie biete. Dieses Wahlsyustem beeinträchtige die Freiheit des Volkes 
nicht, es setze nur Einschränkungen fest, die den Staat schützen gegen über- 
mäßige Beeinflussung seines Lebens durch einzelne Agitaloren und durch 
Prinzipien, welche die Ordnung des Rechtsstaales und das Wohl des Volkes 
ernstlich bedrohen. Auch die Redner der Linken sprechen sich im Allgemeinen 
in diesem Sinne aus, nur Einige geben der Ueberzeugung Ausdruck, daß 
das direkte Wahlsystem eimmal eingeführt werden müsse, daß aber jeßt die 
Zeit dazu noch nicht gekommen sei. Die Ultramonkauen sind erbitlert über 
die ihnen zu Theil gewordene Zurückweisung, und Einer derselben ergreist 
die Gelegenheit, den Staatsminister Turbau aufzufordern, seine frühere Aeuhe- 
rung, „daß das Land eine ultramontane Negierung nicht ertragen würde,“ 
zurückzunehmen; auch legt er Zugleich Verwaheung ein gegen die Bezeichnung 
seiner Partei als, ultramontane". Dem enigeguet der Staalsminister, daß 
er nicht eine Sylbe von dem zurücknehmr was er gesagt habe, und hier 
wiederhole, daß eine ultramontane NRegierung das Land dem Verderben ent- 
gegenführen würde. „Sie Alle, wie Sie hier auf diesen Bänlen sitzen, 
wären nicht im Stande, Ihre Versprechungen zu erfüllen, denn Sie sind 
nicht abhängig von Ihrer eigenen Ueberzeugung, sondern Sie erhalten hre 
Befehle von ciner andern Seite.“ Damit ist das Tischtuch vollends entzwei- 
geschnitten, und als der Präsident sich weigert, die Bezeichunng „ultramon- 
tau“ zu rügen, droht die Parkei, den Saal zu verlassen, was sie aber doch 
nicht thnt. — Einen weiteren Zwischenfall veranlaßt der Ankrag der Ultra- 
montauen auf nachträgliche Ablieferung des gesperrien Zischtiiel- für den 
erledigten ergbischöflichen Stuhl in Freiburg und Genehmigung des- 
selben pro 1878 und 1879. Die Regierung erklärt, daß nicht sie, jondern 
die Kurie an der Unmöglichkeit, den Freiburger Bischofsstuhl zu besetzen, 
schuld sei, indem lettere nur solche Kandidaten vorschlage, welche den Eid 
auf die Gesetzgebung verweigern. Die Regierung allein könne keinen Erg- 
bischof ernennen und — ohne Erzbischof keine Bezahlung. Die empfind- 
lichste Niederlage jedoch wird der Partei durch ein Mitglied aus iheen gigguen. 
Reihen bereitet. Ihr Autrag auf Abönder#ug des Gesetzes über die 2 
bildung und das Staatseramen der Geistlichen gibt den olnlaß 
dazju. Nachdem der Minssterprnstdenkt erklärt hat, daß zuvor der bischöfliche 
Erlaß gegen das Geseth zurückgenommen werden müsse, bevor man überhaupt 
die Angelegenheit in Erwägung Fiehen könne, und nachdem anderseils darauf 
hingewiesen worden, daß selbst der anwei sende ultramontane Abgeord- 
nete Hausjakob in seinem Buche über Italien zur Ablegung des ver- 
langten Staatseramens geralhen habr, erhebt sich dieser und jagt, es sei ein 
großer Fehler der Kurie gewesen, daß sie sich nicht mit der kirchlichen. Gesetz= 
gebung des Ministeriums Lamey voll und ganz verföhnte. Er billige das 
betreffende Gesetz nicht, aber so wie die Dinge jeyt liegen, müsse die Kurie
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.