Nebersichl der polilischen Eukwichelung des Zahreo 1878. 509
stimmt, daß es alle separaten Abmachungen zwischen Rußland und
der Pforte als nicht geschehen, als null und nichtig betrachte, so
weit sie von den Mächten nicht ausdrücklich sanctionirt sein würden
und daß es demgemäß die Bestimmungen des Pariser Friedens von
1856 als noch immer zu Recht bestehend betrachte. Aber es machte
nicht die mindesten kriegerischen Rüstungen, um seiner Erklärung
Nachdruck zu geben und seine Interessen nöthigenfalls mit Gewalt
zu wahren. Es begnügte sich, unter dem 3. Februar die Groß-
mächte zu einer Conferenz in Wien behufs Regelung der orientali-
schen Frage durch ein gemeinsames Einverständniß einzuladen. Es
konnte dieß Rußland unler den obwaltenden Umständen nicht allzu
hinderlich sein: gleich allen anderen Mächten erklärte es sich denn
auch alsbald zu einer solchen Conferenz bereit, nur suchle es den
Zusammentrikt derselben hinauszuschieben, indem es vorerst einen
andern Conferengort als gerade Wien wünschle, seine Einvendungen
gegen die Competenz derselben dagegen vorerst noch für später sich
vorbehaltend. Aber Eine Macht trat in diesem entscheidenden Augen-
blick doch in den Riß und diese Macht war England. Wie ein
Blitzschlag fuhr die drohende Annäherung der russischen Streitkräfte
an Gallipoli und an Constantinopel in die bisher unsichere, unenl-
schiedene öffentliche Meinung dieses großen Landes, das nunmehr
sich als Weltmacht emporrichtete und Rußland mit einer Cnergie
entgegen irat, an die Europa allerdings seit lange nicht mehr ge-
wohnt war. Die entschlossenen Elemente des Cabinetles, die sich an
Lord Beaconsfield angeschlossen, gewannen das Uebergewicht über die
bisher schwankenden und zurückhaltenden, Carnarvon und Derby
traten freiwillig zurück, Salisbury zu jenem über und im Parla-
ment errang das Cabinet eine Mehrheit, die es bisher nicht besessen
hatte. Schon am 23. Januar ertheilte die englische Negierung der
Mittelmeerflotte Befehl, in den Bosporus einzufahren, nahm indeß
den Befehl vorerst noch am gleichen Tage wieder zurück. Aber schon
am folgenden Tage kündigte sie dem Unterhause an, daß sie von
ihm einen Rüstungs-Credit von 6 Mill. Pfd. St. verlangen werde
und am 27. Januar ließ sie die Flotte wirklich in die Meerengen
einlaufen. Die öffentliche Meinung des Landes erklärte sich damit
einverstanden: die bisherigen Friedensmeetings hörten auf und wo
derartige Demonstrationen doch noch versucht wurden, schlugen sie
wiederholt ins gerade Gegentheil dessen um, was ihre Veranstalter
beabsichtigt hatten. Rußland mußte sich zu dem Versprechen herbei-