Nebersicht der politischen Eutwinkelung des Jahreo 1878. 515
mächte nach der zwischen Eugland und Rußland vereinbarten Formel
ein und am 13. Juni fand schon die erste Sitzung statt. Beacons-
field und Gortschakoff mit Schuwaloff, Andrassy und Bismarck ver-
traten die entscheidenden Mächte, Bismarck führte den Vorsitz. Die
Verhandlungen dauerten bis zum 13. Juli, an welchem Tage die
schließliche Textirung des neuen Friedensvertrages von Berlin fest-
gestellt wurde. Es kamen nach und nach alle einzelnen Puncte oder
Fragen, deren Gesammtheit man als die orientalische Frage gu be-
zeichnen gewohnt ist, zur Debatte und wurden ohne allangroße
Schwierigkeiten, wenigstens ohne gefahrdrohende Differengen erledigt,
da die Convention zwischen Rußland und England vom 30. Mai
einer Verständigung wesentlich vorgearbeitet hatte. Doch kamen
auch einige neue und zwar bedeutsame Fragen zur Verathung und
Erledigung. Die Hauptfrage war und blieb die bulgarische; die Lul-
nen aufgetanchten Fragen beschlugen Bosnien und die Herzegowina,
Griechenland und Numänien. Die bulgarische Frage wurde nach
der zwischen Rußland und England eingetretenen Verständigung er-
ledigt, aber mit einer Reihe wichtiger Detailbestimmungen. Das
Bulgarien des Friedens von St. Stefano wurde demgemäß in zwei
Theile zerlegt, von denen der eine ein autonomes Fürstenthum unter
der Suzeränetät des Sultans, ungefähr wie bisher Serbien und
Rumänien, bilden und sich von der Donau bis zum Valkan er-
strecken soll. Der Fürst von Vulgarien soll frei von der Be-
völkerung gewählt und die Wahl sowohl von der Pforle als von
den Mächten genehmigt werden. Die Würde ist nicht erblich: so
oft der Thron erledigt sein wird, soll die Wahl eines neuen Fürslen
unter denselben Bedingungen und Formen vorgenommen werden.
Eine nach Tirnowa berufene Versammlung der Notabeln des Fürsten-
thums soll vor der Wahl des Fürsten einen Regierungsplan d. h.
eine Verfassung des Fürstenthums feststellen. Bis dahin soll die
vorläufige Organisation durch einen russischen Commissär geleitet
und diesem eine inlernationale Commission an die Seite gestellt
werden. Das Fürstenthum hat dem Sultan einen jährlichen Tribut
zu zahlen und einen angemessenen Theil der türkischen Staalsschuld
zu übernehmen. Alle bisherigen Festungen des Landes, namentlich
also Nustschuck und Silistria, Schumla und Varna, sollen binnen
einem Jahre geschleift und neue dürfen — im Interesse des freien
Verkehrs auf der Donau — nicht errichtet werden. Südlich des
Ballans wird eine halb-autonome Provinz errichlet und Osl-
33-