Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

Iltbersicht der politischen Entwichelung des Zahrts 1878. 527 
samen Schlagwörter einer dringend nothwendigen Hülfe für die 
furchtbar bedrängte Landwirthschaft und eines ausgiebigen Schutzes 
der nationalen Arbeit gegen die Concurrenz und unerträgliche Aus- 
beutung des Auslandes ins Feld geführt hätte. Erst als das Tabak- 
monopol auf einen eben so lebhaften als zähen Widerstand stieß, 
als namentlich die bisher im Reichstag maßgebende nationalliberale 
Partei als solche in einer Fractionsversammlung sich entschieden 
dagegen aussprach, als der Reichskangler sich überzeugen mußte, 
daß er selbst im besten Falle nur nach und nach, nur stufenweise 
zum Tabakmonopol gelangen werde, als die Majorität des Reichs- 
tags entschieden nicht geneigt schien, in Bewilligung neuer Stenern 
über den Betrag der Matricularbeiträge hinauszugehen und Viele 
aus constitutionellen Gründen selbst gegen die vollständige Beseili- 
gung dieser Bedenken trugen, als in der öffentlichen Meinung und 
in der Majorität des Reichstags ersichllich wenig Neigung obwalilete, 
selbst bezüglich einer Erhöhung der Tabaksteuer über einen jährlichen 
Ertrag von 50 höchstens 60 Millionen hinauszugehen, weil die 
Tabakindustrie nicht mehr tragen könne, ohne in ihrem gesicherten 
Fortbestande erschüttert und dadurch für das Monopol reif gemacht 
zu werden, als der Reichskangler die Wahrscheinlichkeit vor sich sah, 
die 2 bis 300 Mill.Ak Mehreinnahme für das Reich, an der er 
seinerseits fest hielt, vom Reichstage auf höchsteus 75 Mill. herab- 
gemindert zu sehn; — da erst lieh er den Klagen der landwirth- 
schaftlichen Bevölkerung und den Einflüsterungen einiger sehr ein- 
flußreicher Industriebranchen ein geneigtes Ohr. Ohne Zweifel war 
er schon früher davon übergeugt, daß die landwirthschaftlichen Ge- 
werbe in Stenersachen den industriellen gegenüber benachtheiligt 
seien und ebenso mag er schon früher überzeugt gewesen sein, daß 
Deutschland in Herabsetzung und totaler Abschaffung der Eingangs- 
zölle auf die Producte und Fabricate des Auslandes vielfach zu 
weit gegangen sei; auch Andere in ziemlich weiten Kreisen neigten 
mehr und mehr der Ansicht zu, daß eine Entlastung der überbür- 
deten Landwirthschaft nachgerade geboten sei und daß einzelnen wirk- 
lich nothleidenden Industriezweigen unter die Arme gegrifsen werden 
müsse: aber von da bis zu Getreide= und Viehzöllen und bis zu 
einem vollständigen Schutzzollsystem für fast alle nur möglichen 
Industriczweige war doch ein gewaltiger Schritt. Erst als der 
Reichskangler sich durch das Scheitern des Tabakmonopols dagu ge- 
drängt sah, in den Steuerobjecten weiter auszugreifen, um seine
	        
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