Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

Uebersichl der polilischen Enlwichelung des Jahres 1878. 567 
zugleich aber auch das parlamentarische Regime in seiner gangen 
Schwäche blos legte, indem die verfassungstreue Majorität des Reichs- 
rathes unter sich so wenig einig war, wie gegenüber der Regierung. 
Eine Einigung war um so schwieriger zu erzielen, als es auf der 
Hand lag, daß ein völliges Wiederabstehen von dem bosnischen 
Unternehmen einfach unmöglich, also ganz und gar ausgeschlossen war. 
Die Delegationen traten unter diesen Umständen im November unter 
sehr ungünstigen Aussichten in Pesth zusammen. Die gemeinsame 
Regierung forderte von deuselben für das bosnisehe Unternehmen 
noch pro 1878 einen Nachtragscredit von nicht weniger als beinahe 
42 und pro 1879 einen Credit von fast 31 Millionen Gulden, wo- 
bei es mehr als zweifelhaft war, ob selbst diese Summen ausreichen 
würden. Da die Delegationen diesseits und jenseits der Leilha 
nach verschiedenen gesetzlichen Normen gewählt werden, so konnte 
die Regierung von vornherein auf die Zustimmung der ganzen unga- 
rischen Delegation zu ihren Forderungen, begüglich der österreichischen 
Delegation nur auf eine Majorität von ca. 30 gegen ca. 23 Slim- 
men rechnen. Diese Minderheit machte unter Leitung des Abg. 
Herbst der Regierung eine ebenso energische als zähe Opposition und 
zwang Aundrassy, die Nachtragsforderung für 1878 vorerst gurück- 
zuziehen und sich für die Forldauer der Orcupation mit 20 Mill. 
zu begnügen, welche ihm beide Delegationen noch vor Ende des 
Jahres bewilligten. Offenbar kann die Regierung mit diesen 20 
Millionen nicht weit reichen, unmöglich auskommen; ein viel größerer 
Belrag war vielmehr thatsächlich schon ausgegeben. Das Jahr 
schloß daher sowohl für die österreichische Regierung als für den 
österreichischen Reichsrath sehr unbefriedigend. Namentlich lag die 
Herstellung des Gleichgewichts in den Budgets beider Reichshälften 
wiederum ersichtlich in weiter Ferne. 
Noch viel unbefriedigender als in Oesterreich war freilich diegußand 
Finanzlage in Rußland. Wiederholte Versuche, eine größere Anleihe und der 
im Auslande zu Stande zu bringen, waren gescheitert und die Hoff--# 3 faner 
nung, eine solche schließlich doch noch zu ermöglichen, mußte am'c in 
Ende ganz aufgegeben werden. Rußland sah sich genöthigt, die ge= Jolge 
waltigen directen und indirecten, Kosten seines Krieges gegen die go 
Türkei selbst aufzubringen, theils durch Vermehrung des Papier= 
geldumlaufs, theils durch Anlehen im Innern. Dagegen war die 
Stimmung der Nation eine ganz andere, geradegu entgegengesetzte 
wie in Oesterreich. In Oesterreich hatte die Regierung mehr unter-
	        
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