Das denlsche Reich und seine eineinen Glieder. (März 8.) 71
8.— 9. März. (Deutsches Reich.) Reichstag: Zweite Lesung
der Vorlage des Bundesraths betr. die Stellvertretung des Reichs-
kanzlers. Die nat.--lib. Partei und die Conservativen, also die ent-
schiedene Mehrheit des Reichstags, sind von vornherein enischlossen,
den im Bundesrath vereinbarten Compromiß unverändert anzu-
nehmen. Dagegen stellt die Fortschrittspartei Anträge, um dem
Reichstage einen Einfluß auf die Frage zu sichern. Dieselben, sowie
alle übrigen Amendements werden theils zurückgezogen, theils mit
großer Mehrheit abgelehnt und die Vorlage wird unverändert an-
genommen. Der Reichskanzler ergreift wiederholt das Wort.
Uebersicht der Debatte: v. Grävenipy# (cons.) legt den Stand-
punkt der Conservativen dar, welche die Vorlage unverändert annehmen
wollen v. Kleist-Repow (conj) äußert den Wunsch, daß ein selbständi-
ges Reichsfinanzamt gLeschaffen werde, und erklärt sich gegen alle Veränderungs-
anträge. Fürst Bismarck tritt nochmals für die unveränderte he
der Vorlage ein, indem er bemerkt: das Gewünschte sei nicht stets das Er-
reichbare. Was den Gedanken des Vorredners anbelange, daß d§da gange
Reichsverwaltung direkt durch die preußischen Ministerien zu führen sei, so
wäre Das in den ersten Jahren des Bestehens des Reiches Möglich gewesen,
nicht mehr aber bei der weiteren Eutwickelung der Verhällnisse. Der Reichs-
kanzler geht sodaun auf die Entstehung der Verträge mit den Regierungen
begüglich der Gründung des Reiches zurück und weist auf die Schwierig-
keiten bei Organisation der Reichsbehörden unter steter Schonung und Be-
rücksichtigung der Ansprüche der Einzelregierungen hin. Der Bundesrath
habe sich als geeignetes Organ erwiesen, um allen Ansprüchen Nechnung zu
tragen. Man solle bereits beseitigle Schwierigkeiten nicht noch einmal auf-
thürmen. Der Fürst äußert seine Freude darüber, daß die allgemeinen
Wünsche sich darin begegueten, die Schaffung eines Reichsfinanzamtes zu
verlangen; darüber herrsche im Bundesrathe Einigleit, daß der prenßische
Finauzmilister die Reichsfinanzen leiten solle. Wenn er (Bismarck) den
preußischen Finanzminister als seinen natürlichsten Stellvertreter bezeichnet
habe, so sei dabei maßgebend gewesen, daß dieser Minister im Ministerium
natürlich einen bedeutsamen Einfluß habe. Der Reichskangler bittet noch-
mals, von Amendements möglichst abzusehen und die alte Erfahrung zu b%%
herzigen: Das Bessere ist des Guten Feind. Man möge es vermeiden, die
Vorlage nochmals an den Bundesrath gelangen zu lassen, und das dort
mühsam zu Stande Gebrachte nicht nochmals in Frage stellen. Der zu § 2
beantragte Zusatzantrag Beseler's wird einstimmig, der Zusahantrag Windi-
horst's (Meppen) mit großer Majorität abgelehnt. Weitere Anträge von
Windthorst, Reichensperger und Häuel werden zurückgezogen. § 3, wo dem
Reichskangler vorbehalten ist, jede Amtshandlung auch während der Dauer
der Stellvertreiung selbst vorzunehmen, wird von Treibschke und Schmidt
befürwortet, von Neichensperger belämpft. Der württembergische Mi-
nister v. Mittnacht tritt für diese Bestimmung der Vorlage ein. Wenn
man aus den Stellvertretern nichts weiter mache, als was sie seien, könne
man gegen den Paragraphen nichts einzuwenden haben. Man habe Ein-
wendungen bezüglich der Selbständigkeit des Stellvertreterz erhoben. In
diesen Dingen komme es aber auf die Pevion, den Charakter und die Be-
fähigung der Stellvertreter an, wie der Abg. v. Bennigsen dieß kürzlich
treffend ausgeführt habe. Es sei nicht urnl h enr daß der Reichskanzler