Das deuische Reich nud seine einzelnen Glieder. (März 11 12.) 73
einmal sonst noch eine Vertrelung erforderlich wird, soll diefelbe der Bice-
präsident des prenßischen Ministeriums besorgen. Aber dieser Vicepräsident
wird künstig schwerlich der preußische Finanzminister jein. Ebenso schrumpft
der „Reichsfinanzminister“ auf einen Unterstaateselretär für das Reichsfinanz=
wesen zusammen. Die negative Wirkung der Stellverkretungsgesetzes liegl
allerdings in der Außerkraftsetzung des Vetorechts der 14 Stimmen im Bun-
desrath bei Verfassungsänderungen für eine künflige anderweitige Organisa-
lion der obersten Reichsämter.
11. März. (Deutsches Reich.) Reichstag: Dritte Lesung
des Stellvertretungsgesetzes des Reichskanglers. Dasfelbe wird schließ-
lich als Ganzes mit 171 gegen 101 Stimmen angenommen.
In der Generaldebatte spricht v. Kleist-Retzow für, Windlhorst (Mep-
pen) gegen die Vorlage. v. Charliusky erklärt im Namen der polnischen
Abgeordneten, daß dies an der Berathung und Abstimmung nicht theil-
nehmen würden. Bei der Spezialdiskussion nehmen Dernburg und Lasker
für den Eutwurf. Windthorst, Häuel und Reichensperger gegen denselben das
Wort. Leßterer wird wegen Abschweisung auf das Gebiel des Kullurkampfes
vom Präsidenten zur Sache gerufen. Zarauf werden die 8§& 1 und 2 an-
genommen und ebenio ohne Tebatte die §§ 3 und 1. Bei der Abstimmung
über das Gesetz im Ganzen, welche nach Lucius' Antrage eine namenlliche
isl, erfolgt die Annahme mit 171 Stimmen gegen 101; gegen dasselbe stim-
men die Mitglieder der Fortschritts spartei, des Gentrums und der elsaß-loth=
ringischen Protestpartei; die polnischen und sozialistischen Abgeordnelen ent-
halten sich der Abstimmung.
Wortlant des Gesehes über die Stellvertretung des Reichs-
lauglers: „§l1. Tie zur Gilligkeil der Anordnungen und Verjügungen des
Kaisers erforderliche Gegenzeichuung des Neichskanglers, sowie die fonstigen
demselben durch die Verfassung und die Gesetze des Reiches übertragenen
Obliegenheiten können nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen durch
Stellvertreter wahrgenommen werden, welche der Kaiser auf Antrag des
Neichskanzlers in Fällen der Behinderung desselben ernennt. § 2. Es lann
ein Stellvertreter allgemein für den gesammiten Umfang der Geschöfte und
Obliegenheiten des Reichskanglers ernannt werden. Auch können für die-
jenigen einzelnen Amlszweige, welche sich in der eigenen und unmittelbaren
Verwaltung des Reiches befinden, die Vorstände der dem Reichskangler unter-
geordneten obersten Reichsbehörden mit der Stellverlretung desselben im ganzen
Umsang oder in eingelnen Theilen ihres Geschäftskreises beauftragl werden.
§ 3. Dem Neichslangler ist vorbehallen, jede Amts khandlung auch während
der Dauer einer Stellvertretung selbst vorzunehmen. § 4. Die Bestimmung
des Artikel 15 der Reichsverfassung wird durch dieses Geiet nicht berührt."“
(Artilel 15 der Verfassung lautet: „Der Vorsip im Bundesrathe und die
Leitung der Geschäste steht dem Reichskangler zu, welcher vom Kaiser zu er-
neunen ist. Der Reichskanzler kann sich durch jedes andere Mitglied des
Bundesrathes vermöge schriftlicher Substitntion vertreten lassen.")
12. März. (Deutsches Reich.) Reichstag: Unter den Mit-
gliedern desselben hat sich eine sog. volkswirthschaftliche freie Ver-
kinlgung gebildet, die meist aus sehr entschiedenen Schutzöllnern, wie
v. Varnbüler 2c., besteht und z. Z. ca. 60 Mitglieder zählt.
12. März. (BVayern.) Gen.-Versammlung der „katholischen