Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

90 Da deussche Reich und leine einzelnen Glieder. (Moi 18.) 
lichen Plätzen kann von der Ortspolizeibehörde vorläufig verboten werden, 
wenn die Drucksachen Ziele der im § 1 bezeichneten Art verfolgen. Das 
Verbot erlischt, wenn nicht innerhalb' vier Wochen die schft von dem 
Bundesrakth auf Grund des § 1 verboten wird. § 3. Eine Versammlung 
kann von der Ortspoligeibehörde verboten oder nach ihrem Beginn von dem 
Vertreter der Ortspolizeibehörde aufgelöst werden, wenn Thatsachen vorliegen, 
welche die Annahme rechtfertigen, daß die Versammlung Zielen der im § 1 
bezeichneten Art dient. § 4. Wer einem nach § 1 oder § 2 erlassenen Ver- 
bot zuwider eine Druckschrift verbreitet, wird mit Gefängniß bestraft. Die 
Beschlagnahme der Druckschrift kann ohne acchterliche. Anordnung erfolgen. 
(§ 23 ff. des Gesetzes über die Presse vom 4. Mai 1874.) § 5. Die Be- 
lheiligung an einem nach § 1 verbotenen Vereine oder an einer nach § 3 ver- 
botenen Versammlung wird mit Gefängniß bestraft. Gleiche Strafe trifft 
denjenigen, welcher sih nicht sofort entfernt, sobald die Auflösung einer Ver- 
sammlung auf Grund des § # erfolgt ist. Gegen die Vorsleher des Vereins, 
sowie gegen die Unternehmer und Leiter der Versammlungen und gegen den- 
jenigen, welcher zu einer verbotenen Versammlung das Lokal freigibt, ist au 
Gefängniß nicht unter drei Monaten zu erlennen. § 6. Wer öffentlich durch 
Rede oder Schrift es unternimmt, in Verfolgung der im § 1 bezeichneken 
Ziele die bestehende rechtliche oder sittliche Ordnung zu untergraben, wird 
mit Gefängniß nicht unter drei Monaten bestraft. 7. Dieses Gesetz gilt 
nur für den Zeitraum von drei Jahren. Die §§ 1 5 treten sofort in Kraft. 
Reichstag: Zweite Lesung des Tabak-Enquete-Gesetzentwurfs. 
Derselbe wird durch einen Antrag v. Stauffenbergs und der Nat.= 
Liberalen, der mit 152 gegen 117 Stimmen zur Annahme gelangt, 
sehr wesentlich umgestaltet. 
Ein von freikonservaliver Seite durch den würktembergischen Abg. 
v. Schmid gemachter Versuch, die Vorlage durch angemessene Amendirung 
zu rekten, findet von voruherein bei der Fortschrittefraktion und beim Cen- 
trum keinen Anlklang, aber ebenso wenig bei der in diesem Fall ausschlag- 
gebenden Partei der Nationalliberalen. Zur Kennzeichnung der v. Schmid' 
schen Amendements genügt anzuführen, daß der Reichskanzleramtspräsident 
Hofmann den Ausspruch thut, die Andergierung erkläre sich mit den 
Amendements einverstanden, da sie mit der Vorlage auch in der Form, die 
ihr v. Schmid gebe, was sie bezwecke, werde erreichen können. Die national- 
liberale Fraktion hatte sich indeß im Voraus schlüssig gemacht, nur für die 
von ihr amendirten Paragraphen 1 und 10 der Vorlage zu stimmen, wo- 
nach „über Tabakbau, Tabakjabrikation und Tabakhandel im Reich unter 
Zugiehung von Sachversländigen Erhebungen veranstallet werden sollen, deren 
Resultat dem Reichstag mitzutheilen ist. und die dagu erforderlichen Aus- 
gaben bewilligt werden.“ Und dieser Torso bleibt bei der Abstimmung des 
Hauses von der Borlage allein übrig. Die auszerordentlichen geseylichen Er- 
mächligungen zu Gunsten der Erhebungen, welche die Vorlage vor Allem 
bezweckte, sind also gestrichen. Die Regierung wird indeß auch so ihre ein- 
gestandenen und nicht eingestandenen Zwecke so ziemlich erreichen können. 
Schließlich genehmigt der Neichstag auch die neue Subvention 
von 10 Mill. Fr. an das Gotthardsbahn-Unternehmen. 
18. Mai. (Preußen.) Zusammentrikt der Provinzialsynoden 
der ältern Provinzen. Die vom Kaiser berufenen Mitglieder der 
brandenburgischen Synode erregen großes Aussehen, zumal der Vor-
	        
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